Der lange Abend hinter der Kasse

■ Gestern beschloß der Bundestag den Dienstleistungsabend / Von Maria Kniesburges

Die einen warfen die Wünsche der Konsumenten und das Flair metropolitanen Lebens in die Waagschale, die anderen sprachen von einer Attacke auf die Interessen der Arbeitnehmer. Gestern mittag wurde die Streitfrage im Bundestag entschieden. Mit 200 Stimmen aus CDU/CSU und FDP wurde gegen 135 Stimmen der Opposition (bei acht Enthaltungen) das Gesetz zur Einführung eines Dienstleistungsabends abgesegnet.

Ab dem 1. Oktober werden nun Kaufhäuser, Geschäfte und Banken donnerstags bis 20.30 Uhr geöffnet bleiben können. Selbstredend ausgenommen davon sind Feiertage wie der Gründonnerstag. Und auch die Frühaufsteher finden sich in dem neuen Gesetz berücksichtigt: Ab Oktober sollen die Bäckereien ihre Brötchen bereits ab 6.30 Uhr in der Früh verkaufen dürfen. Verkürzt werden sollen die Öffnungszeiten dagegen an den langen Samstagen in den Sommermonaten. Statt wie bisher um 18 Uhr sollen die Läden dann schon um 16 Uhr geschlossen werden.

Insgesamt, so ist vorgesehen, soll die wöchentliche Öffnungszeit 64,5 Stunden nicht überschreiten. An die öffentlichen Dienststellen, die einen besonders starken Publikumsverkehr zu verzeichnen haben, richtete der Bundestag gleichzeitig die Empfehlung, ebenfalls des Donnerstags bis 20.30 Uhr die Türen für den Besucherverkehr geöffnet zu halten.

Nach dem gestrigen Beschluß des Bundestages muß das Ladenschlußgesetz jetzt nur noch den Bundesrat passieren, an dem es jedoch wohl kaum scheitern wird - noch gibt es dort eine Unionsmehrheit. Die Beschäftigten im Einzelhandel, die seit Monaten massiv gegen den verlängerten Ladenschluß protestieren, verstärkten unterdessen gestern ihre Warnstreik-Aktionen im gesamten Bundesgebiet.

Als Verfechter des neuen Gesetzes führte Bundesarbeitsminister Blüm (CDU) gestern im Bundestag erneut das Argument ins Feld, mit Blick auf den europäischen Binnenmarkt dürfe die Bundesrepublik „in Sachen Ladenschluß kein Entwicklungsland bleiben“. Das Gesetz bringe „mehr Flexibilität und Vorteile für alle Beteiligten“ - für Kunden wie auch für die Arbeitnehmer. So würden dadurch mehr Teilzeitarbeitsplätze geschaffen, und gleichzeitig erhielten „Lebensqualität und wirtschaftliche Dynamik in den Städten“ einen neuen Schub. Insgesamt, so der Bundesminister, sei der Dienstleistungsabend „ein weiterer Anschluß an das Europa der Zukunft.“

Wenig einsichtig gegenüber dieser blumigen, von Zukunftsvisionen getragenen Argumentation zeigte sich die SPD-Bundestagsabgeordnete und Sozialpolitikerin Waltraud Steinhauer. Ihr sei es überhaupt nicht einsichtig, daß Verkäuferinnen, die bereits jetzt lange Arbeitszeiten und wenig Freizeit hätten, künftig „auch noch am Donnerstag bis spät abends im Geschäft stehen sollen“. Sie hege erhebliche Zweifel, daß der Donnerstagabend tatsächlich für Einkäufe genutzt werde. Mit Blick auf die Proteste der Beschäftigten im Einzelhandel machte die SPD-Politikerin geltend, die Regierungskoalition gefährde mit ihrem Gesetzesvorhaben den Arbeitsfrieden in diesem Bereich.

Heftig gegen das Ladenschlußgesetz wetterte auch Marieluise Beck-Oberdorf, Bundestagsabgeordnete der Grünen. Es sei vor allem „ein Gesetz gegen die Frauen, ausgehandelt wieder einmal von Männern wie in einer Skatrunde“. Sie rief die Bundesbürger zum Boykott des Dienstleistungsabends auf.

Für die „Freiheit der Konsumenten“ stieg dagegen die FDP -Expertin für Verbraucherfragen Sigrid Folz-Steinacker in die Bütt. Längere Einkaufszeiten seien insbesondere angesichts der wachsenden Freizeitgesellschaft „das Gebot der Stunde“. Mit dem Argument, schließlich sei ja auch künftig niemand gezwungen, seinen Laden länger als bisher zu öffnen, verwies die liberale Politikerin auf die Vision einer grenzenlosen Freiheit.

In der Tat ist es fraglich, ob tatsächlich alle Einzelhändler von der Möglichkeit längerer Öffnungszeiten Gebrauch machen werden. Insbesondere die kleineren Arbeitgeber in diesem Geschäft haben schon vor Monaten erklärt, sie wollten an den bisherigen Zeiten festhalten. Und der Hauptgemeinschaft des deutschen Einzelhandels (HDE) ist der Meinung, der Donnerstagabend bringe keinen Mehrumsatz, sondern nur eine Umsatzverlagerung - hin zu höheren Kosten. Völlig unverständlich, so sagte ein HDE -Sprecher, sei die Erklärung der FDP, der Dienstleistungsabend sei der erste Schritt zu einer generellen Flexibilisierung der Ladenschlußzeiten.

Interesse an der Ausdehnung der Öffnungszeiten haben dagegen die „Großen im Handel“, die sich so manch zusätzliches Schnäppchen erhoffen. Doch auch sie werden nicht mit dem 1. Oktober durchweg freie Hand haben: In verschiedenen Kaufhäusern und Ladenketten sind die Schlußzeiten per Betriebsvereinbarungen geregelt.

Bundesarbeitsminister Norbert Blüm gab sich auch gestern wieder einmal betont menschlich: Mit Sicherheit werde jemand zum Millionär, so rief er in Richtung der Oppositionsbänke, „wenn er für jeden Sozialdemokraten, den er künftig donnerstags beim Einkauf treffe, und für jeden Grünen, der um 6.30 Uhr seine Brötchen kaufe, eine Mark erhalte.“