Weltkongreß zum Behindertensport

■ Vorträge von 800 Wissenschaftlern / Workshops zum Mitmachen auch für interessierte Laien / Sportliche Darbietungen von Behinderten stehen auf dem Programm / ICC als Veranstaltungsort nicht für die Bedürfnisse von Behinderten eingerichtet

Der 7. Weltkongreß des Behindertensports Adapted Physical Activity findet erstmals in Berlin statt: vom 21. bis 24. Juni. Der Begriff bezeichnet den Bereich von Bewegung und Sport einschließlich des Wettkampf-, Freizeit- und Schulsports für Menschen mit physischen oder psychischen Beeinträchtigungen. 800 Wissenschaftler aus 45 Ländern werden über die Möglichkeiten des Sports mit körperlich oder geistig Behinderten, Blinden, Gehörlosen und Spastikern referieren. Dabei werden Themen wie Integration, Rehabilitation, Therapeutische Maßnahmen und vieles mehr in über 200 je 15minütigen Kurzvorträgen behandelt. Mit der Thematik sollen vorwiegend Fachleute aus den Bereichen Medizin, Psychologie, Pädagogik, Sportwissenschaft, Krankengymnastik und Psychomotorik angesprochen werden.

Zur praktischen Anwendung laden 26 Workshops nicht nur Wissenschaftler, sondern auch interessierte Laien zum Mitmachen ein. In den Workshops werden u.a. Elemente der Tanztherapie oder Bewegungsprogramme für lernbehinderte Schüler mit Koordinationsproblemen vorgestellt. Eine Posterausstellung und dreißig 90minütige wissenschaftliche Sitzungen stehen außerdem auf dem Programm.

Veranstaltet wird der Kongreß im Auftrag der „International Federation of Adapted Physical Activity“ (IFAPA) vom Institut für Sportwissenschaften der Freien Universität Berlin in Zusammenarbeit mit der Vereinigung zur Förderung von Bewegung, Spiel und Sport in Prävention und Rehabilitation e.V. Die Teilnahme kostet 350 Mark, für Behinderte und StudentInnen 100 Mark. Die IFAPA wurde 1973 in Quebec, Kanada gegründet und hat sich inzwischen zu einer weltweit anerkannten Organisation entwickelt, in deren Auftrag bisher sechs Kongresse stattfanden.

Eine Million Mark verschlingt die Veranstaltung, deren Schirmherrschaft der Regierende Bürgermeister von Berlin, Walter Momper, übernommen hat, nachdem sie seinerzeit von der früheren Familienministerin Süssmuth abgelehnt worden war. Auch die jetzige Familienministerin Lehr versagt dem Kongreß ihre Teilnahme als Ehrengast wegen eines Mexiko -Aufenthalts.

Zur Eröffnungsfeier im Internationalen Congress-Centrum werden etwa 1.500 Zuschauer erwartet, Eintrittskarten sind kostenlos am Institut für Sportwissenschaften der FU Berlin erhältlich. Die Tanzgruppe des Deutschen Rollstuhlverbandes wird eine Vorführung „That's wheelchair dancing“ mit Tanzstücken aus „Chorus Line“ darbieten. Der Rollstuhl -Weltenbummler Rick Hansen hält zur Eröffnung ein Referat mit dem Thema „Sport für alle - Herausforderung und Neuorientierung“. Der querschnittsgelähmte Kanadier umrundete 1986/87 in einer zweijährigen „Man in Motion„-Tour den Erdball.

Auch die Teilnahme an den sportlichen Darbietungen Behinderter am Donnerstag ab 20 Uhr ist kostenfrei. Hier treten u.a. die bundesdeutschen Rollstuhl-Basketballer gegen die Bundesliga-Mannschaft des DTV Charlottenburg an, die sich dafür freiwillig in den Rollstuhl begeben wird. Der Sieger dürfte in diesem Falle wohl schon feststehen. Das bundesdeutsche Team der Stand-Volleyballer, Paralympics -Sieger von Seoul und neuer Europameister, wird hier auf seinen Finalgegner, die Nationalmannschaft Polens treffen. Außerdem gibt es noch Tennis und einen Hochsprung-Wettbewerb der Beinamputierten zu sehen, die Höhen von 1,90 Meter überspringen.

Besondere Schwierigkeiten bereitete den Organisatoren der Mangel an behindertengerechten Anlagen in Berlin. Hotels, Restaurants und Toiletten sind selten für den Bedarf behinderter Menschen ausgerüstet, so daß die Unterbringung der anreisenden Behinderten problematisch ist. Das ICC ist zum Ärger der Veranstalter in keiner Weise behindertengerecht geplant und gebaut worden, nach baupolizeilichen Vorschriften darf sich nur eine sehr begrenzte Anzahl von Rollstuhlfahrern gleichzeitig dort aufhalten, da bei einem Feuerausbruch die Fahrstühle des Congress-Centrums nicht mehr zu betätigen sind.

Mitveranstalterin Dr. Gudrun Doll-Tepper vom Institut für Sportwissenschaften hofft, mit dem Kongreß dem Behindertensport zu mehr Aktualität in Europa zu verhelfen. Das Fehlen von Fachzeitschriften und europäischer Fachliteratur hält sie für einen Mißstand, der endlich behoben werden muß. Der Sport mit Behinderten, in den USA eine längst anerkannte und geförderte Wissenschaft, sei in Europa bisher kaum thematisiert worden. Es müsse endlich die Verbindung zwischen Sport und Behindertenpädagogik geschaffen werden, meint die Sportwissenschaftlerin.

Unter ihrer Mitwirkung werden zur Zeit europaweit Studiengänge für den Behindertensport entwickelt, die von allen Ländern anerkannt werden sollen. In Berlin ist ein Aufbaustudiengang bereits vom nächsten Wintersemester an geplant, EG-weit soll das Projekt 1991/92 gestartet werden.

Daniela Hutsch