Entsetzen und Trauer bei Chinesen in Berlin

■ Gestern nachmittag versammelten sich rund 500 Chinesen und Deutsche in der Hardenbergstraße, um gegen das brutale Vorgehen der chinesischen Regierung in Peking zu protestieren / Viele bangen um ihre Angehörigen in Peking / Bonn und Berlin sollen handeln

Große Betroffenheit bei den Chinesen in Berlin: Angesichts des staatlich organisierten Massakers in Peking versammelten sich gestern nachmittag rund 500 Chinesen und Deutsche vor dem Sitz der „Vereinigung der chinesischen Studenten und Akademiker in Berlin West“ in der Hardenbergstraße. In den Räumen der Organisation zeigten die chinesische Studenten per Video erste Dokumentarfilme über das chinesische Blutbad. Gleichzeitig informierten studentische Sprecher in einer eilig einberufenen Pressekonferenz über ihre telefonischen Gespräche mit Freunden und Verwandten in der chinesischen Hauptstadt. „Ein Freund in Peking berichtete mir, daß man die Schüsse aus den Maschinengewehren sogar zehn Kilometer außerhalb des Zentrums hört“, so ein chinesischer Student mit zittriger Stimme und Tränen in den Augen. Kinder lägen erschossen auf der Straße. Wahllos habe das Militär das Feuer auf die Bevölkerung eröffnet. „Wir fordern alle Parteien auf, endlich aktiv zu werden und etwas gegen die chinesische Regierung zu unternehmen“, forderte ein Vertreter der Organisation. Lange genug hätten sie alleine kämpfen müssen. „Jetzt müssen Wirtschaftssanktionen her, und zwar von allen Völkern der Welt!“

Nachdem die chinesischen Studenten so an das Handeln der Politiker appelliert hatten, versammelten sich auf der Hardenbergstraße rund 500 Landesgenossen und Deutsche. Trauerflor und Spendenbüchsen kreisten in der Menge, einige Studenten weinten. Aus dem Fenster der Vereinsräume heraus verlas ein Sprecher per Flüstertüte einen bundesweiten Protestbrief und schrie mit verzweifelter Stimme die Forderungen ins Megaphon. Daraufhin erhoben die Zuhörer unter dem Fenster die Fäuste und riefen immer wieder „Nieder mit dem faschistischen Regierung“ und „Der Sieg gehört der Demokratie“. Sichtlich bewegt lauschten Deutsche wie Chinesen auch einer Rednerin, die chinesische Gedichte rezitierte. Als sie die Nationalhymne ihres Landes anstimmte, sangen alle Chinesen mit.

Im Anschluß an die Kundgebung in der Hardenbergstraße setzte sich ein Demonstrationszug Richtung Breitscheidplatz in Bewegung. Die Zahl derjenigen, die gegen das chinesische Blutbad protestierten, belief sich mittlerweile auf schätzungsweise 1.000 Chinesen und Deutsche. Auch viele Fahrradfahrer, die von dem Abschlußfest der alljährlichen Fahrradsternfahrt am Ernst-Reuter-Platz kamen, schlossen sich spontan dem Protestzug an. Während der Demonstration, die über den Ku'damm führte, tauschten die Chinesen immer wieder Horrormeldungen aus ihrem Heimatland aus. Viele bekundeten Angst um die eigene Familie und Freunde, die sie telefonisch nicht erreicht hatten. Die Forderung, die auf dem rund zweistündigen Marsch nicht nur aus chinesischem Mund zu hören war: Jetzt müssen die Regierungen in Berlin und Bonn endlich etwas unternehmen!

Heute findet am Wittenbergplatz um 17 Uhr eine Demonstration gegen die Ereignisse in China statt.

cb