Die Polizei war selber schuld

■ Der Bericht der „Gintzel-Kommission“ wirft der Berliner Polizeiführung schwere Fehler beim Einsatz während der Kreuzberger Krawalle am 1. Mai vor / Laxe Einsatzweise und „nicht lageangepaßtes Verhalten“

In der heutigen Innenausschußsitzung des Berliner Abgeordnetenhaus kommt Brisantes auf den Tisch: Der Abschlußbericht der „Gintzel- Kommission“ (Dr. Gintzel ist der ehemalige Direktor der Bereitschaftspolizei Nordrhein -Westfalen), deren Aufgabe es war, den Polizeieinsatz während der schweren Auseinsandersetzungen am diesjährigen 1.Mai in Berlin-Kreuzberg zu untersuchen.

Obgleich der Bericht sich einer direkten Schuldzuweisung enthält, ist das jetzt vorliegende Ergebnis eine vernichtende Kritik an der Berliner Polizeiführung. Zu diesem Ergebnis sei die Kommission nach vielen Gesprächen über den Einsatzverlauf „am 1. Mai in Neukölln und Kreuzberg mit dem Leiter des Einsatzes, Unterabschnittsleitern, Bereitschaftsführern, Zugführern, Gruppenführern, Führern von Spezialfahrzeugen und Aufklärungskräften“ gekommen, heißt es in den Bericht. (Siehe Dokumentation nächste Seite)

Im einzelnen werden der Polizei folgende schwere Versäumnisse angelastet: So habe sie „bei ihrer Einsatzplanung ernsthafte Hinweise auf beabsichtigte Ausschreitungen nicht berücksichtigt“. Dem Polizeiführer des Einsatzes werden „laxe Einsatzhinweise“ bescheinigt, „die die Absicht des Einsatzleiters beim Vorgehen gegen Rechtsbrecher nicht klar haben erkennen lassen“. So habe es zum Beispiel „keine Vorkontrollen wie im Jahre 1988 gegeben, mit der Folge, daß bewaffnete Straftäter am Aufzug teilnehmen konnten“. Weisungen des Innensenators, den Demonstrationszug durch starke Polizeikräfte in den Seitenstraßen zu begleiten, um einen schnellen Zugriff im Falle von Straftaten zu gewährleisten, seien nicht befolgt worden. Insgesamt, so wird in dem Bericht das Resümee gezogen, seien die Aufträge aus dem Durchführungsplan der Polizei für diesen 1.Mai „nicht lageangepaßt ausgeführt worden“. Das, so wundert sich der Verfasser, obwohl „sich nach Aufklärungsergebnissen schon am Antreteplatz zahlreiche erkennbar zur Gewaltanwendung entschlossene und zum Teil mit Knüppeln bewaffnete vermummte Straftäter befanden“. Im Demonstrationszug, so hätten es Zivilaufklärer berichtet, sei immer wieder bekannt gegeben worden, daß „trotz begangener Straftaten weit und breit keine Polizei zu sehen sei“.

Als gravierenden Fehler kritisiert der Bericht, daß Polizeikräfte allzuoft „über weite Wege herangeführt werden“ mußten. Ans Ziel gelangte sie daher zumeist erst zu spät. „Hilfeersuchen von äußerst bedrängten Polizeikräften ist nicht entsprochen worden“, so schildert es der Bericht, „obwohl sich Reservekräfte in Unterkünften oder in der Nähe befanden und sich angeboten haben.“ So sei auch eine SEK -Einheit erst am späten Abend eingesetzt worden, obwohl sie sich über Funk bereits Stunden zuvor angeboten habe.

Scharf ins Gericht geht der Bericht auch mit dem Versuch der Polizeiführung, das Einsatzchaos auf politische Vorgaben des Innensenators zu schieben: „Weisungen erstrecken sich nie auf die Frage, wie in Rechtsfragen zu handeln ist... Rechtswidrige Weisungen dürfen nicht befolgt werden... Deshalb kann es auch nicht sein, daß die Polizei durch Weisungen gehindert wurde, Straftaten zu verfolgen“ - selbst wenn es solche Weisungen gegeben hätte.

Ebenfalls am heutigen Montag wird von seiten der Polizeiführung ein eigener Bericht vorgelegt. Das 31 Seiten umfassende Werk, angereichert durch einen noch längeren Anhang, ist weiterhin bemüht, das Versagen der Einsatzleitung zu kaschieren. Verwiesen wird in dem Bericht erneut auf das „Deeskalationskonzept“ des Innensenators: „Der Charakter der vom Innensenator geäußerten Auffassung ist zwischen Polizeibehörde und Senatsverwaltung für Inneres strittig. Die Polizei bewertete die vom Innensenator gemachten Äußerungen in ihrer Qualität als Weisungen.“ Insgesamt geht aus dem Polizeibericht jedoch auch hervor, daß schon Einsatzplanungen im Vorfeld des 1.Mai, wie zum Beispiel die Untergliederung Kreuzbergs in verschiedene Einsatz-Abschnitte, das Chaos am 1. Mai quasi vorprogrammierten. Während Führung und Einsatzbereitschaft in dem einen Abschnitt ständig überfordert waren, standen Hunderte von Polizisten nicht weit entfernt, jedoch dem anderen Abschnitt zugeteilt, in Wartestellung und lauschten den Hilferufen ihrer Kollegen über den Funkverkehr. Zum Schluß ihres Berichtes resümiert denn auch die Polizeiführung sehr richtig: „Für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ist der Verlauf des 1.Mai 1989 in Teilen von Kreuzberg und Neukölln ein schmerzlicher Mißerfolg.“

Hintergrund der Untersuchungen sind Streitigkeiten zwischen Polizeiführung und SPD-Innensenator Pätzold: Flankiert von der Rechtspresse hatte die Polizeiführung auf vermeintliche „Weisungen“ des Innensenators im Vorfeld verwiesen und so versucht, dem Innensenator die Schuld an dem polizeilichen Desaster am 1.Mai nachträglich in die Schuhe zu schieben. Pätzold hatte zwar deeskalierendes Verhalten als politische Rahmenvorgabe für den Einsatz ausgegeben, jedoch gleichzeitig unverzügliches, lagebezogenes Eingreifen der Polizei im Falle eines unfriedlichen Verlaufs verlangt.

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