Mein Gesicht macht mich krank

■ Ein Gespräch mit John Lurie anläßlich des Konzerts der „Lounge Lizards“ in Berlin

Gunter Göckenjan

Gerade ist die neue Platte der Lounge Lizards erschienen, „Voice of Chunk“. Die meisten Songs hat Bruder John geschrieben, Multitalent und Selbstdarsteller. Er hat nicht nur Musik für die Lounge Lizards komponiert, sondern auch Stücke für Streicher (u.a. vom Kronos Quartet aufgeführt), spielt in der Band oder Saxophonsolo. Als Filmdarsteller kennt man ihn aus den Jim-Jarmusch-Filmen „Down by Law“ und „Stranger than Paradise. Wer gut aufgepaßt hat, mag ihn auch in „Paris - Texas“ von Wim Wenders oder in die „Letzte Versuchung Christi“ von Martin Scorsese gesehen haben, darüber hinaus in Filmen von Eric Mitchel, Becky Johnson und Roberto Begnini. Er hat selbst Super-8-Filme und Musikvideos gedreht und Filmmusik geschrieben, zuletzt für „Mystery Train“, den neuen Jim Jarmusch. Die Lounge Lizards sind zur Zeit auf Tournee durch die BRD.

taz: Du hast mal gesagt, daß du dein Geld damit verdienst, John Lurie zu sein.

John Lurie: Stimmt, und das investiere ich dann in die Band.

Du lebst von deinem Image?

Ich versuche etwas davon wegzukommen, aber immer, wenn ich Geld brauche, kann ich Werbung machen oder eine Filmrolle übernehmen. Im Moment zum Beispiel bin ich ziemlich pleite, aber ich weiß, wie ich Geld verdienen kann.

Die Sache mit dem Image interessiert mich mehr als das Geld.

Ja, aber diese Imagedinge sind doch zum Kotzen. Poster oder Plattencover sind doch grauenhaft. Überall John Lurie und sein Gesicht. Mein Gesicht macht mich langsam krank.

Wieso das?

Die Lounge Lizards sind eine Gruppe mit einem Gruppensound: Eben nicht John Lurie ganz vorn und ein paar Leute im Hintergrund. Wir sind eine Einheit. Das ganze Zeug muß man aber machen, damit es von der geschäftlichen Seite her funktioniert. Ohne das müßte ich Taxi fahren bei der Musik, die wir machen. Ich habe ein Public Image, also muß ich das auch benutzen, aber irgendwie ist es eine Schande.

Als du eben im Kino dem Publikum vorgestellt wurdest, ist mir aufgefallen, daß ein paar Leute sich ausgeschüttet haben vor Lachen, dabei hast du eigentlich nichts allzu Komisches gesagt.

Bei der New Yorker Vorführung von Scorseses Last Temptation of Christ war das auch so, immer wenn ich was sagte oder auch nur mein Gesicht auf der Leinwand erschien, grölten die Leute vor Lachen. Ich bin sicher, daß Martin das nicht gefallen hat.

Wieso hast du in diesem Kostümfilm mitgemacht?

Ich wollte Martin Scorsese bei der Arbeit zusehen - seine frühen Filme finde ich phantastisch - weil ich dachte, drei Monate mit ihm arbeiten müßte so ergiebig sein wie fünf Jahre Filmschule. Tatsächlich habe ich eine Menge von ihm gelernt, obwohl dieser Film viel weniger inspiriert ist als seine anderen.

Was hast du gelernt?

Wie und wo man die Kamera aufstellt oder sie bewegt, seine verschiedenen Arten, eine Szene aufzunehmen. Das eigentliche Geheimnis ist aber, daß jeder am Set das Gefühl hat, etwas Wichtiges zu tun. Damit kriegst du das Optimale aus den Leuten heraus, auch wenn du dich wie ein Wichser verhältst: Gib den Leuten den Eindruck, an etwas ganz Besonderem zu arbeiten. Das ist das gleiche bei meiner Arbeit mit der Band.

Wie macht Scorsese das?

Ich war sehr enttäuscht, er macht dazu nichts. Außerdem sind die Marokkaner bei den Filmarbeiten fürchterlich behandelt worden. Sie spielten großartige Musik, dann kam Peter - wie heißt er noch mal? - Peter Gabriel, er spielte zwölf grauenhafte Akkorde auf dem Synthethizer, und im Vorspann steht: Musik von Peter Gabriel. Aber die wunderbare Musik ist von den Marokkanern.

Gibt es große Unterschiede bei der Arbeit mit den verschiedenen Regisseuren, mit denen du gearbeitet hast?

Riesige Unterschiede. Jarmusch steht herum und sagt: „ah, ah, ah, ... ich weiß nicht“, Wenders sagt gar nichts und Scorsese, hektisch und abgehackt: „ähm, ah, laß uns ... ahm ...“

Sie lassen dich tun, was du willst?

Jarmusch ja. Bei Scorsese hast du keinen Raum. Ich war total gelangweilt. Wenn du dir den Film genau ansiehst, stellst du fest, daß ich in einer Szene Kaugummi kaue, in einer anderen eine Uhr trage. Ich habe mir einen Spaß daraus gemacht, den Film ein bißchen zu verdrehen. Ich habe ein zu großes Ego, als daß ich jemand anderen Jesus spielen lassen würde. Willem (Dafoe) war der Richtige für die Rolle. Ich weiß nicht, ob er der beste Schauspieler der Welt ist, aber als Person ist er großartig. Er ist mein bester Freund.

Worin besteht der Unterschied zwischen deiner Filmidentität und der privaten Identität?

Jakob in „Temptation“ war ja nicht mal ein Charakter, das war nur eine Perücke. Die meisten Leute kennen mich wegen der Jim-Jarmusch-Rollen. Eigentlich ist es in beiden Filmen dieselbe Rolle. Ich versuche, auch vor der Kamera Dinge zu tun, mit denen ich mich wohl fühle. Ich hasse diesen Laurence-Olivier-Schauspielstil, in dem du so tust, als seist du Doktor oder was auch immer gerade gebraucht wird. Wen zum Teufel interessiert das? Ich möchte echt und glaubwürdig sein, deshalb ist eine Menge von mir in den Rollen enthalten.

Du willst auch selber Filme machen?

Ich will nicht darüber reden. Ich wollte schon einmal damit anfangen. Aber ich hatte zuviel darüber geredet, und dann wurde ich krank.

Kriegst du das Geld zusammen?

Ja, die zwei Millionen Dollar sind mir schon sicher. Ein Teil kommt aus Japan, ein Teil aus Frankreich.

Du bist in Japan fast so berühmt wie Miles Davis. Wie gefällt es dir dort?

Ich mag Japan. 1982 war ich das erste Mal da, und ich hatte das Gefühl, dort meine Zeit investieren zu wollen. Japan ist wie ein anderer Planet. Wenn du von New York nach Berlin kommst, ist nur die Architektur etwas anders. Japan dagegen ... mein Gott, die denken total anders, die haben eine andere Chemie im Gehirn.

Und bist du dahintergekommen, wie es funktioniert? Du spricht ja sogar japanisch.

Nur ein bißchen, mein Italienisch ist viel besser. Ich war schon zwölfmal in Japan, aber ich verstehe nichts davon.

Ist das, was die Leute von dir erwarten, immer mit dem identisch, was du bist?

Nein, wenn ich auf eine Party komme und freundlich und nett bin, sind die Leute richtig enttäuscht. Sie erwarten, daß ich cool bin und besser als sie. Hochmütig. Ich bin aber nicht so.

Was ist cool?

Wenn ich cool sage, ist das ein Kompliment. Für mich ist jemand cool, wenn er nicht alles in Klischees preßt und wenn er nicht immer das Naheliegende tut. Yuppies sind nicht cool.

Du fühlst dich durch die Erwartungshaltung deiner Umgebung nicht in Klischees gepreßt?

Ich kann nicht einfach draußen herumlaufen. Die Leute wissen, wer ich bin, und das habe ich immer im Kopf. Das nimmt ein bißchen die Poesie aus dem Leben. Aber es ist meine Schuld: Als wir mit The Lounge Lizards begannen, spielten wir vor 700 Leuten. Danach dachte ich, ich kann nicht mehr über die Straße gehen, weil mich jetzt jeder kennt. Natürlich wußten damals höchstens 1.000 Leute, wer ich war.

Kümmerst du dich nicht mehr darum, was die Leute denken?

Blödsinn, schließlich kommt es darauf an, was die Leute denken.

Was für ein Kult ist der Lurie-Kult?

Charles Manson war ein Kult, stimmt's? Mit den Plakaten, die hier überall rumhängen, könnte ich tatsächlich der neue Charles Manson werden. Ich sehe doch darauf wie ein Mörder aus, so als würde ich sagen: Ich bring‘ deine Tochter um. Und gerade jetzt ist unsere Musik sanft und romantisch. Die Leute sehen mich als ernste und einsame Person. Ich möchte aber klingen wie eine Rede von Dr.Martin Luther King.

Da hast du dich doch wohl etwas verändert in den letzten Jahren. Hat das auch damit zu tun, daß du keine Drogen mehr nimmst? Was hast du überhaupt genommen?

Alles! Vor allem aber Heroin und Kokain. Vor einiger Zeit habe ich damit aufgehört. Irgendwie gelang es mir, die einzelnen Teile meiner Persönlichkeit wieder zusammenzusetzen. Früher konnte ich auch keine Musik schreiben ohne Heroin, man merkte ihr das auch an.

Heroin ist ja eine Droge, die sehr kalt macht.

Extrem. Am Anfang nicht, aber im allgemeinen ist es eine unglaublich kalte Droge. Ganz gut, um Saxophon zu spielen, aber ich dachte, ich brauche sie. Es stimmte zum Glück nicht! Ich bin nicht gegen Drogen, schließlich habe ich eine Menge davon gelernt. Aber sie bringen die Party nicht in Schwung, man kann sie nicht zu einem Alltagsding machen. Wie bei jeder Droge ist es auch mit Heroin am Anfang ganz toll. Als ich es das erste Mal nahm, fühlte ich mich genau, wie ich es mir immer gewünscht hatte: nicht mehr neurotisch! Beim fünften Mal hat sich der Effekt schon völlig verändert. Kalt, ja, das stimmt.

Für „Miami Vice“ solltest du einen Kokaindealer spielen, warum hast du es nicht gemacht?

Ich hätte es gemacht, wenn ich die beiden Typen hätte verhauen dürfen. Das sollten die aber nicht. Das hat mir einigen Ärger gemacht: Der Chef von NBC hat meinen Agenten angerufen und ihm gesagt, daß ich, wenn ich in „Miami Vice“ mitmachen würde, nie wieder in einer NBC-Show auftreten dürfe. Übrigens zahlen die fast überhaupt nichts.

Du hast mal Modell gestanden für einen japanischen Modedesigner ...

Ja, alle Mitglieder der Band haben jetzt neue Kleidung, auch die meisten meiner eigenen Klamotten haben die mir geschenkt.

Der Anzug, den du gerade trägst, ist allerdings von Boss.

Den habe ich mir selbst gekauft. Das Hemd hat mir ein Fan geschenkt. Die Schuhe sind die teuersten, die ich mir je gekauft habe: Eidechse.

Du solltest auf die Titelseite der 'Uomo Vogue‘, daraus wurde aber nichts, bedauerst du das?

Nein, es ist gar nicht so schlecht. Ich möchte mit diesen Sachen aufhören, zumindest bis die Musik richtig Beachtung findet.

Zu modisch?

Mode ist ein gefährlicher Aufenthaltsort. Mode berunruhigt mich. Ich trage gerne schöne Sachen, aber ich habe keine Lust, darüber nachzudenken.

Ich finde den Designaspekt daran interessant.

Ich auch. Leider ist es so, daß, wenn man das Design betrachtet, die Welt im Moment unheimlich langweilig ist, egal ob Häuser, Kleidung oder Autos ...

Zumindest was die Architektur angeht stimmt das in New York ja wohl nicht ...

Warst du in letzter Zeit mal da? Sie machen New York zu einem Toronto. Alle Gebäude sehen aus wie aus Plastik. Es ist grauenhaft. Sie ruinieren mir damit auch meinen Film, sie lassen keinen einzigen Drehort übrig.

Jetzt muß du aber doch was über dein Filmprojekt erzählen.

Ich habe die seltsamsten Dinge, die ich in New York erlebt habe, zu einer Geschichte verbunden. Der Film soll 24 Stunden umspannen; es geht um zwei Typen, die sich gegenseitig suchen. Das Ende erzähle ich nicht, das muß ich noch mal umschreiben.

Tourneedaten: 5.6.: Mannheim Capitol 6.6.: München Circus Krone 7.6.: Frankfurt Vobi

20.6.: Freiburg Intern. ZM-Festival

21.7.: Stuttgart Liederhalle