Die verlorene Generation

Der lange Abschied der Tennisprofis / Oft fehlen den Cracks die Alternativen zur Tenniskarriere  ■  Aus Paris Matti Lieske

Das Vergnügen springt dem Argentinier Jose Luis Clerc (30) förmlich aus den Augen. „Es war großartig“, freut sich der Mann, der zweimal im Halbfinale von Paris war (1981/1982), über sein diesjähriges Erstrundenmatch bei den French Open, das er gegen seinen alten Kumpel Andres Gomes aus Ecuador (25) nach großem Kampf in vier Sätzen verlor. Viereinhalb Jahre hatte der einstige Weltklassespieler „aus familiären Gründen“ kein Turnier bestritten, als er in diesem Frühjahr doch wieder zum Schläger griff. Für die French Open bekam er eine „Wildcard“, was heißt, er durfte mitspielen, ohne sich erst mühsam qualifizieren zu müssen.

„Tennis ist kein leichter Sport, um nach mehr als vier Jahren dahin zurückzukehren“, mußte Clerc feststellen, „es ist, als ob man neu lernt.“ Der Zuspruch und die Zuneigung des Publikums sei jedoch enorm gewesen, und Clerc verspürt „große Lust“ weiterzumachen. Zuerst einmal fährt er jedoch nach Hause: „Die bringen mich sonst um.“

Auch Clercs ebenso langjähriger wie ungeliebter Mitstreiter und Landsmann Guillermo Vilas (36), der dieses Turnier vor zwölf Jahren gewonnen hat und ebenfalls eine Wildcard bekam, war „glücklich“, als er hier auf den Platz kam, und „unglaublich nervös“ dazu. Das Glück hatte allerdings schnell ein Ende. Seine sonst so präzisen Grundlinienschläge landeten oft im Aus, sang- und klanglos ging er gegen den drittklassigen Italiener Pistolesi unter. Nach dieser Enttäuschung denkt Vilas ans Aufhören: „Wahrscheinlich war dies mein letztes Turnier.“

Vilas, der in der Weltrangliste derzeit den 182. Platz einnimmt, beklagt ein wenig die Entwicklung im Tenniszirkus. Früher habe es viel mehr Freundschaften gegeben, die Spieler kannten sich. Wer einmal in der Weltspitze war, der sei dort auch eine Weile geblieben. Heute kämen und gingen die Gesichter schneller, als man sie sich merken könne. Man kennt sich kaum noch. „Es gibt zum Beispiel viele, die nicht wissen, wer ich bin“, berichtet Vilas schmunzelnd, „sie kommen in die Kabine und fragen, wer ist denn das? Vilas? Nie gehört. Die Atmosphäre ist einfach kälter geworden.“

Dennoch fällt den alten Cracks der Abschied vom Tennis schwer, die Versuchung eines Comebacks ist enorm. Vitas Gerulaitis ist ein weiteres, von diesem Bazillus befallenes Exemplar. Er hatte „völlig die Lust am Tennis verloren“, da traf er vor einigen Monaten Jimmy Connors, die beiden schwelgten in alten Zeiten, und schon war ein neues Doppel geboren: Connors - Gerulaitis. Ebenfalls mit einer Wildcard ausgestattet, verloren sie in Paris ihr erstes Match gegen die an Nummer zwei gesetzte Paarung Jarryd/Fitzgerald, und Gerulaitis mußte sich die giftige Frage eines beleidigten französischen Reporters gefallen lassen, daß es ja vielleicht ganz witzig sei, mit Krücken auf den Platz zu gehen, aber ob das denn dem Standard eines solchen Turniers angemessen sei?

„Absolut“, antwortete Connors für seinen Freund, und Gerulaitis fügte hinzu, man solle den Sport doch nicht gar so fürchterlich ernst nehmen. Im Gegensatz zu Clerc, der Gegner „aus meiner Epoche“ bevorzugt, hat es Gerulaitis vor allem gefallen, in Europa gegen die jungen Leute zu spielen. Auch er will weitermachen.

Für Jimmy Connors (36) steht ein Ende seiner Karriere ohnehin nicht zur Diskussion. Er sorgt immer noch für dramatische Matches, Niederlagen wie die in der zweiten Runde von Paris gegen Jay Berger machen ihm nach eigenen Bekunden nichts aus. „Mental bin ich ohnehin schon lange tot.“ Im übrigen werde er ja gut bezahlt: „Ich bin ein Couponschneider. Seit fünf Jahren schneide ich Coupons. Und der Preis stimmt noch.“

Björn Borg, der mit 25 den Schläger schmiß, bleibt ein Einzelfall. John McEnroe, Chris Evert, Martina Navratilova, die alle mal gesagt haben, sie würden sofort Schluß machen, wenn sie nicht mehr ganz oben stehen, sind nach wie vor dabei und präparieren sich für Wimbledon. Selbst Mats Wilander (24), seit Jahren mit zyklischen Motivationsproblemen kämpfend, mag zwar, wie kolportiert wird, im trauten Kreise die Bob-Dylan-Variation „Ma take this racket off of me, I can't serve with it anymore, feel like I'm knocking on Heaven's door“ zur Gitarre singen, Aufhören kommt dennoch nicht in Frage.

In Paris macht das Tennis sogar ihm wieder Spaß: „Auf dieses Turnier habe ich mich die ganze Zeit gefreut.“ Sein Zweitrundenopfer Diego Perez aus Uruguay beeilt sich, dies zu bestätigen: „Hier spielt ein völlig anderer Wilander.“

Der Gedanke auszusteigen „ist immer da“ (Vilas), allein, oft fehlen die Alternativen. Die meisten Tennisprofis haben nichts gelernt außer Tennisspielen. Und wer hat nach einer schillernden, lukrativen Profikarriere schon Lust, noch einmal die Schulbank zu drücken und etwa Sozialpädagogik zu studieren. „Für uns ist es nicht leicht, etwas anderes zu machen“, bestätigt bedrückt Claudia Kohde-Kilsch (25), die gerade eine längere Pause gemacht hat, „weil ich die ganzen Gesichter eine Weile nicht mehr sehen wollte“, und schwer wieder Tritt fassen kann.

Guillermo Vilas glaubt, dieses Problem jetzt endlich gelöst zu haben. „Lange Zeit hatte ich Angst vor dem Moment, an dem meine Karriere zu Ende sein würde. Jetzt kann ich daran denken, ohne mich traurig zu fühlen.“ Vilas, der zu seiner aktiven Zeit zwei Gedichtbände veröffentlichte, will Bücher und Lieder schreiben und eine neue Laufbahn als Rockmusiker starten. „Ich werde mir junge Musiker holen, die mich antreiben. Das ist eine Sache, die mich glücklich machen würde.“