Toter Stern über China

Das Massaker von Tiananmen steht in der Tradition der KPCh-Politik  ■ K O M M E N T A R

Wer es in der Vergangenheit gewagt hatte, die Volksrepublik China Militärdiktaturen in anderen Ländern gleichzustellen oder die sogenannte „Volksbefreiungsarmee“ als Machterhaltungsorgan einer kleinen Clique machtgieriger Altkader darzustellen, der konnte sich des Proteststurms unter Linken sicher sein. In China war angeblich immer alles anders. Während im Hinblick auf die UdSSR konservative Politiker im Verbund mit linken Kritikern nicht müde wurden, auf Gefangenlager und Menschenrechtsverletzungen hinzuweisen, wurde beim Anblick des Reichs der Mitte stets ein Auge zugedrückt.

In Wirklichkeit stand China noch nie hinter den Diktaturen dieser Welt zurück, wenn es darum ging, der eigenen Bevölkerung elementarste Rechte zu verweigern. Was am Wochenende auf dem Tiananmen, dem Platz des Himmlichen Friedens passierte, ist kein letztes Aufbäumen einer Clique von vergreisten Politikern, sondern reiht sich ein in eine Serie gewaltsamer Maßnahmen, mit der sich die KPCh in den vergangenen 40 Jahren mehr schlecht als recht an der Macht hielt und Demokratie und Selbstbestimmung der Bevölkerung vorzuenthalten versuchte. International anerkannte Menschenrechtsorganisation schätzen die Zahl der Insassen in chinesischen Arbeitslagern, Knästen und Umerziehungscamps gegenwärtig auf 20 Millionen. Drei bis fünf Prozent davon sollen politische Gefangene sein - also mindestens 600.000 Menschen.

In der Geschichte der KPCh hat es eigentlich nie so etwas wie eine Liberalisierung gegeben. Bestenfalls wurde bisweilen außerhalb Chinas ein freies Durchamtmen für Intellektuelle, Künstler, Schriftsteller und Dissidenten euphorisch gefeiert, bevor die Partei mit Hilfe der Generäle ihrer sogenannten „Volksbefreiungsarmee“ diesen kurzen Frühlingsphasen - wie auch an diesem Wochenende - ein brutales Ende setzte. Und was jetzt vor den Augen der Weltöffentlichkeit passierte, exerziert die Armee seit Jahren in Tibet.

Die Geschichte der Volksrepublik China ist eine Geschichte der Unterdrückung von Protesten der Arbeiter, Bauern und Minderheiten, eine Geschichte der Ausgrenzung von Intellektuellen. Die KPCh ist eine Bauernpartei mit Strukturen, die im Bürgerkrieg gegen die Kuomintang funktioniert haben und sinnvoll waren, die aber in der alltäglichen Politik stets in Unterdückung endeten. Bereits 1957 ließ Mao Zedong, der selbst einmal die Opfer der chinesishen Revolution auf 50 Millionen beziffert haben soll, etwa 700.000 Intellektuelle in Knäste und Arbeitslager stecken. Sie hatten sich nicht darauf beschränkt, auf seine Aufforderung hin zu loben, sondern gingen so weit, auch zu kritisieren. Und nachdem in der Kulturrevolution der Machtkampf gegen die eigenen Partei gescheitert war, die mißbrauchten Rotgardisten auch noch den großen Steuermann selbst hinweg fegen wollten, marschierte das Militär auf. Es metzelte Aufstände nieder und riß im ganzen Land die Macht an sich. Die Revolutionsräte, gerade unter Linken euphorisch gefeiert, verkörperten nichts anderes als eine totale militärische Kontrolle, mit der die Volksrepublik überzogen wurde.

Kein Wunder, daß das chinesische Volk aufatmete, als Deng Xiaoping 1978 eine wirtschaftliche Reform einzuleiten begann. Viele vergaßen, wenn sie über Chinas zweite wirtschaftliche - Revolution sprachen, daß es auch weiterhin dieselbe Partei war, die China regierte. Wenn Deng Xiaoping von Westöffnung fabulierte, war nur die Wirtschaft gemeint. Denn er hatte sehr wohl erkannt, daß schon 1976, nach dem Sturz der Viererbande, im chinesischen Volk keine Sympathie für Partei und Regierung existieren.

Für kurze Zeit war es dem Stehauf-Männchen Deng gelungen, seine Partei aus diesem Tief herauszuführen. Bis 1985 schien der Wohlstand im ganzen Land zu steigen, und sogar die Intellektuellen hatten ihren Frieden mit der Partei geschlossen - in der Hoffnung, auf die wirtschaftliche Reform würde eine politische folgen. Wenn es auch anfänglich so schien, als hätten die reformerischen Kräfte in der KP die Oberhand gewonnen, so wurde doch die Machtfülle der konservativen Veteranen unterschätzt, die auf Senorität und feudalistischem Gehorsam gründet.

Das chinesische Volk weiß nach dem Massaker auf dem Tiananmen klarer als zuvor, was es von seiner Regierung zu halten hat. Sie geht über Leichen, um an der Macht zu bleiben. In Peking ist die Ruhe wiederhergestellt, Studenten, Arbeiter und Intellektuelle, die Demokratie forderten, sind massakriert worden. Um ein angeblich „kleines Häuflein von Unruhestiftern“ zu vertreiben, hat die chinesische Führung mehrere tausend Bürger niedermetzeln lassen. Sehr bald wird die KPCh bemerken müssen, daß sie dieses Ereignis nicht mehr losläßt. Politiker, die die Entscheidung zum Militäreinsatz getroffen haben, sind ohnehin fast alle über 80 und werden dieses Wochenende nicht lange überdauern. Aber auch die Kommunistische Partei könnte damit ihren Niedergang besiegelt haben. Mit Granatwerfern und Massenmord läßt sich Demokratie selbst im China der greisen Veteranen nicht aufhalten.

Jürgen Kremb