„Es wird eine dunkle Zeit kommen“

Interview mit dem chinesischen Lyriker Bei Dao (40) zu den Ereignissen in Peking  ■ I N T E R V I E W

Bei Dao (40) ist einer der bekanntesten und gleichzeitig umstrittensten chinesischen Lyriker und hält sich

gegenwärtig in West-Berlin auf. Im Februar organisierte er

einen offenen Brief an Deng Xiaoping, in dem die Freilassung des Dissidenten Wei Jingsheng verlangt wird. Der Brief wurde von 40 führenden Intellektuellen Chinas unterzeichnet und

löste eine breite Kampagne für Menschenrechte aus, die

schließlich in die Studentendemostrationen über- gingen.

Mitte April verließ Bei Dao China. Wie aus Peking zu

erfahren war, steht er mittlerweile ganz oben auf der

schwarzen Liste, in der die KP-Chinas Schriftsteller,

Intellektuellen und Politiker zur Verhaftung freigibt.

taz: Sie haben die ganze Nacht mit Peking telefoniert. Was bedeutet das Massaker für die zukünftige Politik Chinas?

Bei Dao: Ich bin zutiefst erschüttert und schockiert. Ich kann mir eigentlich gar nicht erklären, was da passiert ist. Ich habe eine ungeheueren Zorn. Das ist das scheußlichste Ereigniss in der neueren chinesischen Geschichte. Es ist unglaublich, daß Soldaten in diesem Maße Leute auf der Straße massakrierten. Dieses Ereigniss wird die Partei nicht mehr loslassen. Ich befürchte, daß über China jetzt vorübergehend eine dunkle Zeit hereinbrechen wird.

Wie groß ist die Möglichkeit, daß diese massive Repression, aber auch der Widerstand auf andere Städte übergreift ?

Vorerst nicht sehr groß. Ich befürworte, daß das Volk jetzt stillen Widerstand praktiziert und kleinere Aktionen plant. Wenn jetzt gegenüber dem Militär offener Widerstand ausgeübt wird, heißt das nur, daß die Todesrate nach oben schnellt. Sich jetzt darauf zu verlasen, daß das Volk sich erhebt, ist nicht der beste Weg.

Was wird mit Chinas kritischen Intellektuellen geschehen?

Ich habe gerade ein Interview mit Yang Xianyu, einem bekannten Übersetzer und Literaten gehört. Er ist wie ich auch voll Zorn und Haß. So geht es bestimmt vielen Intellektuellen. Aber unter der gegenwärtig praktizierten Form der Unterdrückung wird wohl in nächster Zeit außer öffentlicher Kritik und Stellungnahmen keine Reaktion zu erwarten sein.

Können Sie sich vorstellen, was in der KP passiert ist, daß so eine Amoklauf gegen die eigene Bevölkerung innerhalb des Politbüros toleriert wurde?

Das ist schwer zu verstehen. An der ganze Sache läßt sich nur eine Grundsätzlichkeit des gegenwärtigen Systems in China erkennen. Je stärker das Volk nach Demokratie verlangt, desto mehr kehren sich die Politiker der feudalistischen Tradition zu, desto mehr wird brutal unterdrückt. Die Politik in China macht genau das Gegenteil, was das Volk erwartet und verlangt. Je mehr das Volk friedlich kämpft, desto mehr versucht die Partei das Land zu verschließen. Das ist eines der größten Probleme Chinas. Die Führung des Landes ist überhaupt nicht mehr in der Lage auf die Erfordernisse des Landes und der Leute einzugehen, lebendige und praktische Politik zu machen.

Wie groß schätzen sie die Möglichkeit ein, daß sich die Arbeiter mit den Studenten solidarisieren und ein Generalstreik organsiert wird?

Auf jeden Fall wäre die Effizenz einer solchen Aktion wesentlich größer als der direkte Widerstand, der ohnehin nur in eimem Blutbad enden wird. Ich habe telefonisch erfahren, daß ab heute ganz Peking bestreikt werden soll. Aber nach der massiven Unterdrückung, die wir jetzt gesehen haben, ist es erst mal sehr fraglich, ob sich noch jemand traut daran teilzunehmen.

Wie sehen sie die nächsten Zukunft?

Es ist die Regierung von alten Männern, die da Entscheidungen trifft. Politiker, die eigentlich schon lange zurückgetreten sind und kaum eine Position halten, sind wieder zurückgekehrt und machen Politik. Die können nicht mehr abwägen, die können nur noch konservativer und konservativer werden.

Interview: Jürgen Kremp