„Wir brauchen die Solidarität der Deutschen“

■ Das Pekinger Massaker schließt die chinesischen Studenten in Berlin zusammen Sie mobilisieren die Öffentlichkeit / Die meisten wollen zurück nach China

„Wanted: Volksmörder Deng Xiaoping, Li Peng - die Vergreisten Chinas!“ Gedankenverloren steht der chinesische Student, der solchen Slogan auf seinem bemalten Hemd spazierenträgt, zwischen seinen Kommilitonen. Aufgeregtes Stimmengewirr beherrscht die Räume der Vereinigung der chinesischen Studenten und Wissenschaftler Berlin West in der Hardenbergstraße. „Wir malen Transparente für die Demo heute nachmittag“, erklärt ein Student und taucht erneut den Pinsel in die weiße Farbe. Der Hintergrund der meisten Banderolen ist schwarz. Entsetzen und Trauer sind es auch, die die Arbeitsatmosphäre in dem Chaos aus Stoffbahnen und Kreppapier beherrschen. Ab und zu kommen andere StudentInnen in den Raum des Vereins und berichten Neuigkeiten, die sie gerade per Telefon aus Peking erhalten haben. So erzählt ein Student, daß jetzt auch Verletzte von Soldaten aus dem Krankenhaus geholt und erschossen würden. Ohnmächtiges Schweigen lähmt daraufhin für ein paar Momente das emsige Tun der Chinesen. Danach malen sie umso entschlossener für die Demonstration. Die einzige Hoffnung, die ihnen noch bleibt: die Mobilisierung der Öffentlichkeit.

„Öffentlichkeitsarbeit ist für uns jetzt ganz wichtig“, erklärt Liu Shicha, ein Vertreter der Vereinigung. Viele der rund 500 chinesischen StudentInnen und Wissenschaftler in Berlin hätten das Gefühl, daß sie aktiv werden müßten. „Noch vor zwei Monaten waren wir eine relativ lose Gesellschaft, ohne großes Programm“, so Liu. Mittlerweile sei das anders. „Immer, wenn irgendwas in China passiert, kommen viele Studenten hierher, um darüber zu diskutieren, was man machen kann.“ Dennoch seien sie überrascht gewesen, daß zu der ersten Demonstration der Chinesen Anfang Mai so viele Interessierte gekommen seien. Liu: „Die Leute, die hier politisch aktiv werden und sich organisieren, sind meistens schon länger hier.“ Neulinge aus China müßten zum größten Teil zunächst einmal Deutsch lernen und hätten Probleme, sich zurechtzufinden. Er selbst lebe seit acht Jahren in Berlin.

Doch normal ist mittlerweile gar nichts mehr: „Was wir brauchen, ist eine feste Gruppe von Akteuren. Momentan sind wir ziemlich überfordert, was die Organisation von Aktionen betrifft.“ Der Grund: Viele Studenten müßten nebenher arbeiten, um sich ihr Studium zu finanzieren, Stipendien bekämen die wenigsten. „Ich habe mir jetzt extra Urlaub genommen, um die Aktionen mitzuorganisieren“, erzählt Liu. Als ehemaliger Student der Elektrotechnik arbeitet er jetzt als Assistent an der TU. Auf jeden Fall wolle er irgendwann mal nach China zurückkehren. „Das wollen die meisten Chinesen, die hier studieren“, so Liu. Die Mehrheit komme nur für ein paar Jahre nach Berlin, zumeist zusammen mit dem Ehepartner. „Die Bundesrepublik ist eben kein Einwanderungsland“, meint Liu. Eine große Intoleranz gegenüber Ausländern bestehe unter den Deutschen. Viele wollten nach ihrem Studium so schnell wie möglich zurück. „Deshalb überlegen wir natürlich alle, was wir gegen die Regierung in China tun können.“ Davon hänge schließlich auch ihre Zukunft ab, erklärt Liu.

Neben Flugblättern und Informationskampagnen müßte vor allem Druck auf Politiker und Regierungen ausgeübt werden, sagt ein Sprecher. „Heute morgen war ich bei Walter Momper im Rathaus, um ihn um eine Presseerklärung zu den Vorgängen zu bewegen.“ Momper war zwar nicht da, aber die Erklärung kam dann doch noch in seinem Auftrag zustande, triumphiert der chinesische Vereinsaktive. Mit der AL habe er auch schon gesprochen. Sie habe sich als Mitveranstalter der Demo bereiterklärt.

„Unser größtes Problem ist vor allem das Geld, das wir für die Öffentlichkeitsarbeit brauchen“, so Liu. Eine Zeitung, die sie bislang mit Geldern der chinesischen Botschaft viermal im Jahr herausgeben, müsse jetzt natürlich eigenhändig finanziert werden. Denn: „Das, was wir jetzt schreiben, wird die Regierung bestimmt nicht unterstützen. Vor allem aber brauchen die Studenten in Peking finanzielle Unterstützung“, so Liu.

Die überregionale Zusammenarbeit den anderen chinesischen Gruppen in westdeutschen Landen klappe relativ gut, meint der ehemalige Student. „Anfang Mai haben wir einen bundesweiten Dachverband gegründet.“ Dies vereinfache die Koordination von bundesweiten Aktionen gegen die chinesische Regierung erheblich.

Erste Resultate der Zusammenarbeit: bundesweite Protestbriefe gegen das chinesische Blutbad sowie zeitgleich organisierte Demonstrationen im ganzen Bundesgebiet und Berlin. Hierbei hoffen Liu und seine Landsleute vor allem auf eines: die Solidarität vieler Deutsche. „Das ist ganz klar, unsere Aktionen können nur gelingen, wenn uns die Menschen hier unterstützen.“

cb