Keine ruhige Kugel

Bowling wird den Ruf des Kneipensports nicht los  ■  PRESS-SCHLAG

Wenn im niederländischen Hertogenbusch bis kommenden Sonntag die besten Spielerinnen und Spieler beim Bowling ihre Meister ermitteln, rechnet sich auch Norbert Griesert gute Chancen aus, in die Entscheidung einzugreifen. Der 33jährige Spitzenspieler des mehrfachen Deutschen Mannschaftsmeisters „Kraftwerk Berlin“ - wobei Kraftwerk vom angelsächsischen Powerhouse (Volltreffer) abgeleitet ist - konnte bereits 1977 in Helsinki Vize-Europameister werden. Bei den Titelkämpfen im vergangenen Jahr in Dublin war für ihn erst im Halbfinale Endstation.

Trotz seiner sportlichen Erfolge muß Griesert mit dem Vorwurf leben, Bowling sei lediglich eine Spielwiese schmerbäuchiger Kneipengänger, die eine ruhige Kugel schieben wollen. Dabei übt der wohl beste Bowler hierzulande drei- oder viermal pro Woche in einem Bowling-Center in Kreuzberg, um die zehn Pins am Ende der Rollbahn zu Fall zu bringen.

Man muß üben, wie eine Maschine zu werden“, erläutert der Champion. „Nur wenn man seine Würfe verinnerlicht hat und sich auf die verschiedenen Bahnbeläge einstellen kann, ist man vorne mit dabei.“ Und dann ist noch die Kondition enorm wichtig, weil ansonsten auch die notwendige Konzentration flöten geht. Immerhin dauern größere Turniere mehrere Tage: „Manchmal steht man stundenlang an der Bahn. Wenn dann die Kraft nachläßt, geht alles schief.“

In der Bundesrepublik gilt Bowling als reiner Amateursport. Selbst die teuren Utensilien müssen häufig aus eigener Tasche bezahlt werden: eine Spielkugel, von denen ein Aktiver pro Saison vier bis fünf benötigt, kostet rund 400 Mark. Hinzu kommen Bahnmiete und vor allem Reisekosten, wenn man wie „Kraftwerk Berlin“ in der Bundesliga spielt.

Da haben es die führenden europäischen Bowling-Nationen aus Skandinavien bedeutend leichter. „Bowling ist dort Schulsport“, weiß der Berliner, „man merkt bei diesen Ländern, daß sie bereits in ganz jungen Jahren mit dem Bowling anfangen. Die haben ein ganz anderes Gefühl für den Bewegungsablauf.“ Von seiner Stärke, sagt Griesert etwas resigniert, „gibt es dort etwa dreihundert Spieler“.

Während die übermächtigen Nordmänner und -frauen das Abräumen der Pins neben Rechnen und Geschichte lernen, kam Griesert nur durch Zufall zum Bowling. Mit 16 Jahren suchte er in einem Bowling-Centre Schutz vor schlechtem Wetter, und griff aus purer Langeweile zur Kugel.

Trotz der idealen Bedingungen in Skandinavien und den USA, wo Profis im Jahr um 15 Millionen Mark Preisgelder spielen, zum Beruf möchte er Berliner seinen Sport nicht machen. Auch im Bundesgebiet hat die „Professional Bowling Tour“ bei acht Grand-Prix-Turnieren 1988 eine stattliche Million investiert. Was soll's? „Ich glaube nicht, daß ich die Voraussetzungen hätte, Profi zu werden“, glaubt der selbstkritische deutsche Einzelmeister. Und: „Da müßte ich zuviel aufgeben.“

Wie weit der hiesige Bowling-Sport noch hinter internationalen Standards herhinkt belegt die Tatsache, daß der Berliner vor zwei Jahren sogar vorübergehend die Kugel an den Nagel hängen mußte. Sein Beruf als Einzelhandelskaufmann ließ ihm keine Zeit für ausreichendes Training. Daß er in Hertogenbusch überhaupt noch einmal den schier übermächtigen Nachbarn aus dem Norden das Fürchten lehren kann, verdankt er einer idealen Konstellation Beruf -Sport: Griesert jobbt seit neuestem in einem Bowling -Centre.

Jürgen Schulz