Die grüne Insel liebt jetzt Fußball

WM-Qualifikation: Nach dem 2:0 gegen Ungarn schielt Irland nach Italien / Südamerikanische Begeisterung  ■  Aus Dublin Ralf Sotscheck

Der 12. Juni 1988 war der Wendepunkt in der irischen Fußballgeschichte. Seit Ray Houghton mit seinem Tor bei den Europameisterschaften in der Bundesrepublik den Sieg über Erzfeind England sicherte, ist praktisch die ganze Insel zu Fans der „Boys in Green“ geworden.

Zwei Jahre zuvor hätte der irische Fußballverband beinahe Bankrott anmelden müssen. Das Nationalteam eilte von einem Mißerfolg zum nächsten und konnte nur noch unverbesserliche Anhänger in die Stadien locken. Als Jack Charlton, der englische „Weltmeister“ von 1966, den Trainerposten übernahm, ging es aufwärts.

Charlton betrieb zunächst einmal Ahnenforschung. Sämtliche Spieler der irischen Nationalmannschaft verdienen ihr Geld in der englischen oder schottischen Liga, die meisten von ihnen sind in Großbritannien geboren. Wo immer Charlton auf eine irische Großmutter stieß, wurde der Spieler kurzerhand mit einem irischen Paß ausgestattet. So naturalisierte er sich eine schlagkräftige Truppe zusammen.

Mit dem sportlichen Erfolg konnte sich auch der Fußballverband finanziell sanieren. Ein Team von Werbemanagern vermarktet die Fußballer erbarmungslos. Die Länderspiele sind seit dem „historischen Sieg“ über England auch ohne ihr Zutun ausverkauft. Selbst für das Spiel gegen den „Fußballzwerg“ Malta vor neun Tagen (2:0) gab es schon eine halbe Stunde nach Eröffnung des Vorverkaufs keine Eintrittskarten mehr.

Zum Leidwesen der Funktionäre faßt das Rugbystadion an der Lansdowne Road, in dem die Fußball- Nationalmannschaft ihre Spiele austrägt, nur knapp 50.000 Zuschauer. Im vorentscheidenden Gruppenspiel um die Weltmeisterschafts -Qualifikation gegen Ungarn hätten vorgestern mindestens viermal soviele Tickets verkauft werden können. Die Karten wurden wie Goldstaub gehandelt.

„Das ist das Spiel, das wir gewinnen müssen“, sagte Charlton vor dem Anpfiff. Dementsprechend legt die irische Mannschaft los. Schon nach drei Minuten hätte es 2:0 für Irland stehen können. Allerdings haben die Iren auch etwas Glück. Als Chris Hughton den Ball im Strafraum mit der Hand spielt, obwohl weit und breit kein Ungar zu sehen ist, drückt Schiedsrichter Nervik aus Norwegen beide Augen zu. Die Iren kontrollieren das Spiel nach Belieben.

Ungarn gelingt in der gesamten ersten Halbzeit ein einziger - allerdings nicht ungefährlicher - Torschuß. Doch erst nach sieben Großchancen fällt schließlich in der 34. Minute das längst fällige Tor für Irland. Die ungarische Abwehr kann eine Flanke von Verteidiger Staunton nur mühsam bis zur Strafraumgrenze befördern, wo Paul McGrath wartet und den Ball volley ins Netz jagt.

Das Stadion gleicht danach einem Tollhaus. Schon seit Spielbeginn haben die Zuschauer einen Lärm veranstaltet, der zweifellos mit jedem südamerikanischen Stadion mithalten kann, doch nach dem Tor kennt die Begeisterung keine Grenzen mehr.

In der zweiten Halbzeit lassen es die Iren etwas ruhiger angehen. Dennoch kommt nie das Gefühl auf, daß sie noch in Bedrängnis geraten könnten, weil sie nach wie vor früh stören und fast jeden Zweikampf gewinnen. Als Garaba nach Freistoß des besten Ungarn, Lajos Detari, in der 78. Minute den Pfosten trifft, drehen die Iren noch mal auf und erzielen zwei Minuten später das 2:0.

Zugegeben - Ray Houghton hatte sich am linken Flügel mit Hilfe der Hände seines Gegners entledigt, aber verdient war das Tor allemal. Seine Flanke senkt sich hinter Torwart Disztl genau auf die Linie, wo der beste Spieler auf dem Platz, Tony Cascarino, leichtes Spiel hat.

Italien wird bei der Weltmeisterschaft im nächsten Jahr eine Invasion von der grünen Insel erleben, weil den Iren der zweite Gruppenplatz hinter Spanien kaum noch zu nehmen ist. Den italienischen Gastwirten sei jetzt schon geraten, sich mit genügend Alkohol zu versorgen, und der Papst wird für die katholischen Iren einige Sonderschichten einlegen müssen.

Bei der Pressekonferenz nach dem Spiel zeigte sich Charlton in selten guter Laune: „Ich freue mich jetzt auf das Freundschaftsspiel gegen die mächtige westdeutsche Mannschaft im September.“ Sprach's und verschwand in die Stadionkneipe, wo bereits ein großes Guinness auf ihn wartete. Er hat das Zeug zum irischen Ehrenbürger.