Kursstürze an den Börsenplätzen Ostasiens

Hongkong: Angst um eigene Zukunft und Chinas Wirtschaftskurs  ■  Aus Hongkong Georg Blume

„Was jetzt passiert, hat mit rationaler ökonomischer Analyse nichts mehr zu tun“, sagt Timothy Moe, Experte an der Hongkonger Börse. Am Montag forderte denn auch weniger die wirtschaftliche als die politische Rationalität ihr Tribut auf Ostasiens Finanzplätzen. An den wichtigsten Börsen der Region, in Tokio und Hongkong, wurden Kursstürze von seltener Höhe verzeichnet.

In Tokio sackte der Nikkei-Index immerhin um 200 Punkte, ein für den sonst stabilsten Börsenmarkt der Welt kaum mehr vorstellbares Phänomen. Rasanter ging es selbstverständlich dort zu, wo man heute schon die neuen chinesischen Verhältnisse vor der eigenen Haustür wähnt: im immer noch britisch verwalteten Hongkong. Nachdem der hiesige Aktienindex bereits in den vergangenen Wochen um 10 Prozent gefallen war, verlor er gestern noch einmal 581 Punkte und erlangte die in Hongkong als kritisch bezeichnete Indexschwelle von 2.000 Punkten (Endstand am Montag: 2.035). Massive Aktieneinkäufe der Hongkong Bank verhinderten einen noch deutlicheren Niedergang.

Die Befürchtungen Hongkonger Geschäftskreise gründen sich auf das 1984 von der chinesischen und der britischen Regierung unterzeichnete Abkommen, nach dem China ab 1997 nach dann 137jähriger englischer Kolonialherrschaft erneut die Hoheitsgewalt über Hongkong zurückerhält. Zur Zeit aber ist kaum ersichtlich, ob die Machthaber Pekings, von denen man nicht weiß, ob es die alten sind oder neue kommen werden, sich an die entsprechenden Vertragsklauseln von 1984 über den besonderen Status der jetzigen Kronkolonie gebunden fühlen werden. Zumal dazu keine unbedingte Notwendigkeit vorliegen würde. In der Tat ist zweifelhaft, ob Großbritannien noch über entsprechende politische Druckmittel verfügen könnte, falls eine neue Regierung in Peking dem Hongkonger Wirtschaftstreiben eines Tages größere Beschränkungen auferlegen möchte. Einwände, diese Fragen würden sich alle erst in acht Jahren stellen, zählen für Hongkongs Geldmanager nicht. Nicht nur, daß heutige Investitionen - insbesondere in den angrenzenden chinesischen Provinzen - auch auf die Zeit nach 1997 zielen. Entscheidend für die derzeitige Börsenpanik ist vor allem, daß auch diejenigen, die heute nicht mehr auf die kapitalistische Zukunft der Kronkolonie setzen wollen, die Zeit drängt. Sie nämlich müssen sich nach neuen Märkten und neuen Kapitalanlagen in anderen Ländern der Welt umschauen. Und eine solche Perspektive fällt insbesondere den Investoren, die sich an die wirtschaftliche Reform Chinas angekoppelt hatten, nicht so leicht.

Es sind ja nicht so sehr die Toten auf Pekings Straßen, die die Börsenkurse bewegen, als vielmehr die Furcht, mit der Gewalt habe sich in Chinas Regierungspalästen jene Fraktion durchgesetzt, die schon seit jeher das wirtschaftliche reformmodell Dengs von den Parteistühlen aus bekämopfte. Bestätigungen für solche Ängste lieferten am Wochenende Berichte, denen zufolge der alte Reformgegner Yao Yilin in das Amt des Regierungschefs aufrücken und Altstalinist Li Peng vom Regierungschef zum Generalsekretär der Partei befördert werde. Gerade Yao Yilin war es schließlich, der vergangene Woche eine stärkere Anbindung der chinesischen Wirtschaft an die Sowjetunion gefordert hatte.