Der Gartenzwerg gegen das Welt-Plagiatentum

Wie Marken-Produzenten der weltweiten Flut von Plagiaten begegnen / Fünf Prozent des Welthandels für Produktfälscher / Nicht nur aus Billiglohnländern  ■  Von Jürgen Lossau

Sie kämpfen einen aussichtlosen Kampf. Der eine, indem er die verhaßten Objekte mit einer Dampfwalze platt macht. Der andere, in dem er jedes Jahr einen pechschwarzen Gartenzwerg mit goldener Nase namens „Plagiarius“ verleiht.

Auch Gruppen sind am Kampf beteiligt. Die eine, indem sie in Paris Ende 1987 ein Komitee gegen Produktfälschung gegründet hat. Die andere, indem sie ein ähnliches Büro nennen wir es „Interpol gegen Markenartikelfälscher“ bereits Anfang 1985 in London etablierte.

„Etwa fünf Prozent vom Welthandel“, schätzt Henning von Boehmer, Generalsekretär bei der Internationalen Handelskammer (ICC) in Köln, „wandern in die Taschen von Produkt-Piraten. Das sind mehr als 100 Milliarden Mark pro Jahr.“

Zum Beispiel: der Taschenrechner Marke „Sharp“. Die Kopie aus Hongkong gleicht dem Original in jedem Detail. Nur der Markenname wurde leicht verdreht: „Shrap“.

Zum Beispiel: die Haut-Lotion „Nivea“. Welche Hausfrau im fernen Arabien wird erkennen, daß es sich bei der blauen Flasche namens „Livea“ um eine dreiste Fälschung verwässerten Inhalts handelt?

In der Bundesrepublik sind sogar schon gefälschte Arzneimittel für Diabetiker über die Theken gewandert. „Und“, so weiß Henning von Boehmer, „kopierte Anti-Baby -Pillen, die leider nicht den gewünschten Effekt hatten.“

Die Liste der gefälschten Produkte ist endlos: von A wie Aktenordner über Bleistifte, CD-Platten, Deodorants, Pullover und Porzellan, Sonnenbrillen und selbst Sonnenbrillen-Etuis, Trittleitern und Tennisschläger, Werkzeug, Wasch- und Pflanzenschutzmittel bis Z wie Zahnpasta. Es sind also nicht nur die sattsam bekannten Lacoste-Hemden.

Auch die italienische Textilbranche lebt, wie der dortige Markenverband „Centro Marca“ zu berichten weiß, zum großen Teil vom Etikettenschwindel. 60.000 Menschen verdienen ihre Lira mit der Herstellung nachgemachter Kleidung.

Selbst Auftragsproduzenten von Markenware schrecken zuweilen nicht davor zurück, Schutzrechte zu verletzen. Henning von Boehmer kennt Fälle, „in denen Unternehmer tagsüber für Markenartikler arbeiten und die Maschinen nachts gleich weiterlaufen lassen, unter Verwendung der Originalmaterialien. So wird in die eigene Tasche gewirtschaftet, ohne daß die Kopie zu erkennen wäre.“

Doch nicht jede betroffene Firma hängt das Plagiat an die große Glocke. Der Originalhersteller eines Schwingdeckeleimers mußte zum Beispiel die verwirrende Erfahrung machen, von der Konzernmutter zurückgepfiffen zu werden. Lieferte sie doch auch an den Dieb den Rohstoff.

Ein besonders trauriges Lied kann C.H.J. van Elderen, Eigentümer des niederländischen Haushaltsgeräte-Herstellers Brabantia, über Plagiate singen: „Ich habe eine Sammlung von 17 Dosenöffnern, die exakte Kopien unseres Originals aus dem Jahre 1977 sind. Zehn weitere weichen vom Aussehen her geringfügig ab. Bis heute haben wir nur acht Nachahmer gerichtlich stoppen können, einen in Holland, drei in Deutschland, einen in Frankreich, einen in der Schweiz und zwei in Großbritannien, wo man unsere Produkte unbekümmert als 'Dosenöffner im holländischen Stil‘ deklariert hat.“

Produkt-Imitate stammen also nicht nur aus Billiglohn -Ländern. Generalsekretär von Boehmer weiß: „Über ein Viertel der hier entdeckten Plagiate werden auch in der Bundesrepublik hergestellt.“ Der Ausschuß für Außenwirtschaftsbeziehungen des Europäischen Parlaments rechnet hoch, daß schon 1985 rund 50.000 deutsche Arbeitsplätze der Produktpiraterie zum Opfer gefallen sind.

Um sich mit allen schwarzen Schafen der Branche so richtig in der Wolle liegen zu können, hat die Internationale Handelskammer 1985 ein spezielles Büro eröffnet. Zu den Aufgaben des Londoner „Counterfeiting Intelligence Bureau (CIB)“ zählen die weltweite Informationssammlung und das Anvisieren juristischer Schritte. Aber die Strafverfolgungsbehörden in den meisten Ländern sehen die Produkt-Piraterie nach wie vor als Kavaliersdelikt an.

Nicht so in Deutschland. Im Juli 1988 wurde hierzulande ein Gesetz verabschiedet, wonach jedes neue Geschmacksmuster publiziert werden muß. Außerdem hat Bundesjustizminister Hans Engelhard (FDP) die Höchststrafe für Produktfälscher auf fünf Jahre heraufsetzen lassen.

„Ich bin sehr gespannt, wann diese Strafe zum ersten Mal verhängt wird. Dann veranstalten wir ein großes Fest und laden den Justizminister dazu ein. Aber ich bin sicher, daß es nie dazu kommen wird“, empört sich der Ulmer Designer Rido Busse. Mit dem von ihm geschaffenen Negativ-Preis „Plagiarius“ werden jedes Jahr besonders dreiste Beispiele für Ideenklau „ausgezeichnet“, frei nach dem Motto: „Wer plagiiert, wird blamiert!“

Ein schwarzer Gartenzwerg mit goldener Nase illustriert den Grundgedanken der Aktion „Plagiarius“. Die Preisträger erhalten das gute Stück natürlich nicht im Original, sondern nur eine Kopie in Form eines Fotos.

1989 vergab die Jury unter der Schirmherrschaft des Verbandes Deutscher Industrie Designer (VDID) den ersten Preis an ein Möbelprogramm. Das Dortmunder Unternehmen Mobilair hat nämlich die sechsteilige Büroausstattung des holländischen Fabrikanten Pastoe bis zur Farbe hin abgekupfert.

Die Seouler „San Dong Corporation“ hat neben der Nachahmung von Markierstiften des Nürnberger Herstellers „Schwan -Stabilo“ auch gleich die Verpackung übernommen. Dem Käufer fällt dieser Schwindel in den Regalreihen von Supermärkten kaum mehr auf, weil Form und Frabe der Kartons völlig übereinstimmen. Für die Aktion „Plagiarius“ war das den dritten preis wert.

Rido Busse hat den schwarzen Gartenzwerg 1977 aus der Taufe gehoben. Bei einem Gang über die Frankfurter Frühjahrsmesse entdeckte er eine Briefwaage der Firma Soehnle, die ihm nur allzu bekannt vorkam - hatte Busse das Design doch selbst geschaffen. Nur der Preis versetzte ihn in Erstaunen: „Das Original kostete im Laden 26 Mark. Hier gab's ein halbes Dutzend Waagen für nur 20 Mark. Die Idee des 'Plagiarius‘ war geboren.“

Für Rido Busse, der mit seiner Mannschaft insgesamt über 300 Design-Auszeichnungen einheimste, ist das Blamieren von Plagiatoren reiner Selbsterhaltungstrieb. Mit 54 Kräften fertigt „busse design ulm“ in seinen Werkshallen von der Skizze über die Konstruktion bis zu Prototyp und Kleinserie alles im eigenen Haus. Da, wo 1805 Napoleon die entscheidende Schlacht um Ulm gegen die Österreicher gewonnen hat, liegt heute der Flachbau des wehrhaften Designers: in Elchingen. Auf 2.000 Quadratmetern arbeitet das Team für die Bundespost (wenn's um Telefonzellen geht), für Stihl (wenn's um Sägen geht), für Krups (wenn's um Küchengeräte geht), ebenso für Braun, BBC und Bundesbahn oder Staubsauger aus Korea, Marke Goldstar, aber original.

Die Wirkung des „Plagiarius“ schätzt Busse realistisch ein: „Gleich zu Beginn der Jurierung werden Produkte oft zurückgezogen, weil sich der Hersteller des Originals mit dem Plagiator einigen kann, bevor dieser blamiert wird. Insgesamt hat unser Preis zwar noch nicht viel ausrichten können, aber er hat den Leidensdruck artikuliert.“

Deshalb freut sich Rido Busse besonders, „daß die Industrie aufgewacht ist und den Kampf gegen Fälscher nicht mehr nur den Rechtsabteilungen überläßt“. Im Herbst 1987 haben nämlich 1.400 Unternehmen in Paris das „Komitee International pour la Lutte Contreafacon“ (COLC) gegründet. Marken- und Produktfälschung auf den Grund gehen, hat sich auch ein deutsches Mitglied in diesem internationalen Zirkel vorgenommen: die Porsche-Design-Vertriebs-GmbH. Denn selbst das windschnittige Aussehen eines Porsche-Brillenetuis war den Plagiatoren eine Billigkopie wert.

Alain Dominique Perrin, Generaldirektor des französischen Uhrenherstellers Cartier, begegnet dem Treiben von Produkt -Piraten auf seine Weise. Der Luxus-Fabrikant sieht sich schließlich auch besonders gebeutelt: „Auf jede Original-Uhr kommt eine Fälschung.“ Allein sein deutscher Anwalt Richard Cremer in Frankfurt führt Hunderte von Akten mit Fälschungsfällen. Damit das nicht so weiter geht, schreitet Perrin zu unkonventionellen Taten, zuletzt im März 1989 in Madrid: Er setzt sich dann zum Beispiel ans Steuer einer Dampfwalze und mangelt Cartier-Imitate tonnenweise platt. Den Aufkauf der Uhren läßt er sich eine Stange Geld kosten. Doch die Gewinnspanne von Cartier läßt ihm genug Freiraum für sein öffentlichkeitsträchtiges Hobby.