Skandal im Hochsicherheitstrakt

Fehlende Entriegelungssysteme und Katastrophenausgänge Ursache für den Tod von acht Frauen und zwei Wärterinnen im Turiner Knast / Entriegelungsfrage nur ein Skandal unter mehreren  ■  Aus Rom Werner Raith

Raffaele Costa, vor der Presse gramgebeugt, kann es „noch gar nicht glauben“: „Da müssen im modernsten Gefängnis Oberitaliens die Zellen noch wie im Mittelalter per Einzelschlüssel aufgesperrt werden!“ So war es nicht mehr möglich, als in der Nacht zum Sonntag im Hochsicherheitstrakt des erst 1986 bezogenen Gefängnisses Le Vallette in Turin ein Brand ausbrach, die in dichten Rauchschwaden erstickenden Frauen aus ihren Zellen herauszuholen; acht von ihnen kamen um, dazu zwei Wärterinnen, die die Türen doch noch aufzukriegen versucht hatten.

Doch Raffaele Costa sollte sich wohl eher an die eigene Brust klopfen: Als Staatssekretär im Ministerium für öffentliche Arbeiten ist gerade er verantwortlich für die Gefängnisbauten - eine Verantwortung, die er nun gerne auf den Oberaufseher über Italiens Knäste, Niccolo Amato, abschieben möchte. Der winkte aber bereits ab: seit Jahren schon fordere er „eine Zentralentriegelung und Katastrophenausgänge als unabdingbare Sicherheitsvorkehrung für alle Gefängnisse„; eine Maßnahme, die der Staat 1983 nach dem Brand im Kino „Statuto“, bei dem es 64 Tote gegeben hatte - makabrerweise ebenfalls in Turin -, für alle großen Gebäude vorgeschrieben hat; Tausende von Kinos, Diskotheken und Restaurants mußten nach diesen Bestimmungen schließen. Nur der Staat selbst hat offensichtlich seine Normen nicht beachtet.

Doch die Entriegelungsfrage ist womöglich nur einer der Skandale, die im Zuge der Ermittlungen noch hochkommen werden: Auch die Brandursache und die Verantwortung dafür liegt noch im dunkeln. Schnell war die Gefängnisleitung mit der Erklärung zur Hand, da sei wohl aus einem Zellenfenster ein brennendes Blatt Papier nach unten gesegelt - „wie es die Häftlinge nachts oft benutzen, um einander mit einem Signal-Alphabet Botschaften zu übermitteln“. Das habe einige vor dem Trakteingang lagernde Plastikmatratzen entzündet; die dabei entwickelten 1.200 Grad Hitze haben den Eingang schmelzen und giftige Dioxinschwaden ins Innere dringen lassen. Dem widerspricht allerdings die Feuerwehr: „Ein aus drei Metern herabschaukelndes Blatt entzündet keine noch dazu eingewickelten Matratzen“, so der Einsatzleiter.

In jedem Fall wollen nun Grüne, Radikale und Kommunisten in einer parlamentarischen Anfrage wissen, „wieso man, in Kenntnis der Fackelgewohnheiten, hochbrennbares Material ausgerechnet unter den Zellenfenstern deponiert hat“. Einer Aufklärung bedarf auch die Frage, warum mehrere der umgekommenen Frauen im Sicherheitstrakt steckten - zwei Sinti sind dabei, eine Frau saß nur wegen Beleidigung und sollte in den kommenden Wochen entlassen werden. Das jüngste Opfer ist noch nicht einmal 19 Jahre alt.

Klärung wird sich, wenn überhaupt, wohl erst nach den Europawahlen ergeben, die bislang die nach dem Rücktritt des Kabinetts De Mita fällige Regierungsneubildung blockieren. Dann wird der Skandal wohl auch im Zusammenhang mit den Affären behandelt, die den Bau der Sicherheitsgefängnisse ohnehin schon umgeben: Schmiergelder in Millionen-DM-Höhe an Minister (zwei davon bereits unter Anklage), Verzehnfachung der Baukosten, und, wie man sieht, eine Ausführung, die allen Vorschriften Hohn spricht.