„Sie werden am Terror festhalten“

Peter Schier, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Asienkunde in Hamburg  ■ I N T E R V I E W

taz: Haben Sie eine Erklärung dafür, was die chinesische Führung dazu bewogen hat, gegen die eigene Bevölkerung Amok zu laufen?

Peter Schier: Deng Xiaoping und jene konservativ-orthodoxen Kräfte, die eine Allianz gebildet haben, hatten eigentlich nur zwei Möglichkeiten. Entweder auf die Forderung der Studenten und Intellektuellen nach mehr Demokratie einzugehen. Dies hätte aber bedeutet, daß sie die Macht verloren hätten. Die andere Möglichkeit war, mit allen Mitteln zurückzuschlagen.

Also ein Massaker an der eigenen Bevölkerung, um an der Macht zu bleiben.

Ja. Doch letztlich muß man sagen, daß dieser Massenmord, dieser Terror auch einem gewissen Altersstarrsinn von Deng Xiaoping und jenen Gerontokraten entspringt, die im Hintergrund noch immer die Macht in Händen halten. Man darf ja nicht vergessen, daß diese Entscheidungen von einer Reihe bereits pensionierter Politiker getroffen wurden.

Wer sind denn diese Leute?

Es sind vor allem jene Leute, die 1987 auch den Sturz von Hu Yaobang bewirkt haben. Vor allem Mitglieder der Zentralen Beraterkommission. Um Namen zu nennen, Peng Zhen, ein ganz finsterer Bursche, ferner Bo Yibo und fast der gesamte Ständige Ausschuß der Zentralen Beraterkommission.

Halten Sie für möglich, daß sich Teile des Militärs abspalten?

Es ist die einzige Hoffnung, die man haben kann, wenn man die Lage in China betroffen verfolgt. Es sind zwei Entwicklungen vorstellbar. Daß nämlich der Volksaufstand weitergeht, auf das ganze Land übergreift und es zu einem offenen Bruch im Militär kommt. Ich nehme an, die Mehrheit der Mannschaften würde sich gegen die Verfechter der harten Linie solidarisieren. In diesem Falle würden die konservativ -orthodoxen Führer sehr schnell gestürzt werden. Doch vorerst kann man eine derartige Entwicklung nur erhoffen. Man muß sich allerdings darüber im klaren sein, daß diese Koalition der Finsterlinge an dem brutalen Terror festhalten wird. Denn das Volk verlangt jetzt ihren Tod. Ich glaube, die würden gelyncht, wenn sie verlieren. Deshalb ist zu erwarten, daß das Massaker solange weitergeht, bis die Bevölkerung klein beigibt.

Die Bauern sind im Kampf für Demokratie noch nicht so weit wie die Städter. Wo die Bauern allerdings sofort mitmachen, ist im Kampf gegen Korruption. Denn das ist ein Schuh, der auch sie täglich drückt. Insofern kann ich mir vorstellen, daß man den Bauern klarmachen kann, daß Korruption nur wirksam bekämpft werden kann, wenn eine Demokratisierung eingeleitet wird.

Steht China am Rande eines Bürgerkrieges? Naht das Ende der Kommunistischen Partei?

Was jetzt in den Städten passiert, ist auf jeden Fall ein Volksaufstand gegen die konservativ-orthodoxen Kräfte von Deng Xiaoping und Staatschef Yang Shangkun. Ein Ende der KP ist es vielleicht noch nicht, weil in der Partei noch Hoffnungsträger vorhanden sind, wie etwa der entmachtete KP -Generalsekretär Zhao Ziyang.

Wie wird es nach diesem Gemetzel weitergehen? Wird die große Hatz auf Intellektuelle einsetzen?

Ehrlich gesagt kann ich mir gar nicht vorstellen, daß sich diese Koalition der Finsterlinge auf Dauer wird durchsetzen können. Der Widerstand ist doch selbst im Apparat so groß. Das Außenministerium, der Staatsrat, die Medien, alle sind im großen Maße reformorientiert. Dort müßte man überall im großen Maße Militär einsetzen. Vielleicht klappt das Monate, aber nicht lange. Aber gehen wir einmal davon aus, daß sich diese Finsterlinge durchsetzen, dann müssen die natürlich mit eiserner Faust regieren. Anders geht es doch gar nicht mehr. Der Bruch ist doch total. Es wird ferner einen wirtschaftlichen katastrophalen Einbruch geben, weil sich die Masse der Bevölkerung weigern wird, mit dieser Führung zusammenzuarbeiten. Die wirtschaftliche Reform, die von Deng Xiaoping immer gefordert wurde, die kann er in den Wind schreiben. Wie kann man denn die Modernisierung Chinas gegen die Intellektuellen und gegen das Volk machen? Das ist unmöglich.

Werden die Intellektuellen in den Untergrund gehen?

Die Verhärtung der Positionen ist so stark, der Zorn der Studenten ist so groß, daß dies durchaus möglich ist. Die Lage ist einfach fürchterlich.

Das Interview führte Jürgen Kremb