Die Berliner Polizei war selber schuld

■ Der Bericht der „Gintzel-Kommission“ wirft der Berliner Polizeiführung schwere Fehler beim Einsatz während der Kreuzberger Krawalle am 1.Mai vor / Laxe Einsatzweise und „nicht lageangepaßtes Verhalten“ / Polizeibericht sucht Schuld weiter beim Innensenator

Berlin (taz) - Zwei kontroverse Untersuchungsberichte zur Rolle der Polizei bei den Kreuzberger 1.-Mai-Krawallen wurden auf der gestrigen Innenausschußsitzung des Berliner Abgeordnetenhauses vorgelegt. Während der Bericht der „Gintzel-Kommission“ (Gintzel ist der ehemalige Direktor der Bereitschaftspolizei NRW) erhebliche Fehler bei der polizeilichen Einsatzleitung moniert, führt der von der Polizeiführung vorgelegte Bericht das 1.-Mai-Fiasko erwartungsgemäß auf die Vorgaben des Innensenators zurück.

Obgleich der Gintzel-Bericht sich einer direkten Schuldzuweisung enthält, ist das jetzt vorliegende Ergebnis eine vernichtende Kritik an der Berliner Polizeiführung. Im einzelnen werden der Polizei folgende schwere Versäumnisse angelastet: Sie habe „bei ihrer Einsatzplanung ernsthafte Hinweise auf beabsichtigte Ausschreitungen nicht berücksichtigt“. Dem Polizeiführer des Einsatzes werden „laxe Einsatzhinweise“ bescheinigt, „die die Absicht des Einsatzleiters beim Vorgehen gegen Rechtsbrecher nicht klar haben erkennen lassen“. Weisungen des Innensenators, den Demonstrationszug durch starke Polizeikräfte in den Seitenstraßen zu begleiten, seien nicht befolgt worden. Insgesamt, so das Resümee, habe sich die Polizei „nicht lageangepaßt“ verhalten, obwohl sich nach Aufklärungsergebnissen schon am Sammelplatz „zahlreiche, erkennbar zur Gewaltanwendung entschlossene und zum Teil mit Knüppeln bewaffnete, vermummte Straftäter befanden“. Im Demonstrationszug, so hätten es Zivilaufklärer berichtet, sei immer wieder bekannt gegeben worden, daß „trotz begangener Straftaten weit und breit keine Polizei zu sehen sei“.

Als gravierenden Fehler kritisiert der Bericht, daß die bereitgestellten Polizeikräfte oft „über weite Wege herangeführt werden“ mußten. „Hilfeersuchen von äußerst bedrängten Polizeikräften“ konnte daher meist nicht entsprochen werden. Auch eine SEK-Einheit sei erst am späten Abend eingesetzt worden, obwohl sie sich bereits Stunden zuvor angeboten habe.

Scharf ins Gericht geht der Bericht auch mit dem Versuch der Polizeiführung, das Einsatzchaos auf politische Vorgaben des Innensenators zu schieben: „Weisungen erstrecken sich nie auf die Frage, wie in Rechtsfragen zu handeln ist (...) Rechtswidrige Weisungen dürfen nicht befolgt werden (...) Deshalb kann es auch nicht sein, daß die Polizei durch Weisungen gehindert wurde, Straftaten zu verfolgen“ - selbst wenn es solche Weisungen gegeben hätte.

Der von der Polizeiführung vorgelegte Bericht kam zu ganz anderen Ergebnissen. Das 31 Seiten umfassende Werk, angereichert durch einen noch längeren Anhang, ist weiterhin bemüht, das Versagen der Einsatzleitung zu kaschieren. Verwiesen wird in dem Bericht erneut auf das „Deeskalationskonzept“ des Innensenators: „Der Charakter der vom Innensenator geäußerten Auffassung ist zwischen Polizeibehörde und Senatsverwaltung für Inneres strittig. Die Polizei bewertete die vom Innensenator gemachten Äußerungen in ihrer Qualität als Weisungen.“ Insgesamt geht aus dem Polizeibericht jedoch auch hervor, daß schon Einsatzplanungen im Vorfeld des 1.Mai, wie zum Beispiel die Untergliederung Kreuzbergs in verschiedene Einsatzabschnitte, das Chaos am 1. Mai quasi vorprogrammierten. Während Führung und Einsatzbereitschaft in dem einen Abschnitt ständig überfordert waren, standen Hunderte von Polizisten nicht weit entfernt, jedoch dem anderen Abschnitt zugeteilt, in Wartestellung und lauschten den Hilferufen ihrer Kollegen über den Funkverkehr.

Nicht nur die vorgelegten Untersuchungsberichte, sondern auch die Positionen der Parteien im Innenausschuß blieben kontrovers: Während die CDU auch weiterhin die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses fordert, sehen SPD und AL keinen weiteren Klärungsbedarf. Ein Ausschuß werde bestenfalls ein, zwei Bauernopfer nach sich ziehen, ansonsten aber weiter Unruhe in die Berliner Polizei tragen.

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