Improvisation contra Phrasen

■ Dave Holland's und Charlie Haden's Quartet West in Bremerhaven

Eine für stadtbremische Jazzkonzert-BesucherInnen recht ungewohnte Atmosphäre verbreitete das konzertsaalmäßige Ambiente des Weser-Forums im 60er-Jahre-protzigen Columbus -Center, zwischen Gediegenheit und Schickeria unentschieden. Anläßlich des 10jährigen Jubiläums hatte die Jazz&Pop -Redaktion von Radio Bremen die Gruppen der beiden bekannten Bassisten nach Bremerhaven geladen.

Den ersten Set bestritt das Dave Holland Quartet. In drei ausgedehnten Stücken entwickelte die Gruppe um den britischen Bassisten Dace Holland ihr musikalisches Programm: Modern-Jazz mit viel Improvisation. Dabei hielt sich der Leader auffal

lend zurück, auch seine Soli können kaum als aufregend bezeichnet werden. Mittelpunkt war für mich vielmehr der unermüdlich treibende, ungeheuer differenziert agierende Schlagzeuger Marvin „Smitty“ Smith. Er schlug äußerst farbige Rhythmusfiguren, hielt durch sein kraftvolles und polyrhythmisches Trommeln die Stücke zusammen. Steve Coleman blies ungewohnt kühle, introvertierte Linien auf dem Altsax, ebenso cool und sophisticated wie sein Auftreten, das zeitweise direkt lustlos wirkte. Erst in seinem letzten Solo blies er vor dem drängenden Schlagzeug Smith‘ rasante Läufe von sich steigernder Dynamik und Expressivität. Im Gegensatz dazu

spielte Gitarrist Kevin Eubanks weitaus experimenteller, als ich ihn bisher kannte. Seinen fingerfertigen, hurtig -perlenden Gitarrenläufen setzte er schräge Akkorde entgegen, gestaltete schöne unisono-Passagen mit Colemans Altsax. Am beeindruckendsten war das kürzeste der drei Stücke. Eingeleitet von einem Baß-Riff, zu dem Eubanks seiner Gitarre klagende Fiepser entlockte, die Saiten so anriß, daß es wie ein Daumenpiano klang, während Smith mit seinem reichhaltigen Perkussionsinstrumentarium afrikanische Klänge herbeizauberte. Colemans Sax übernahm das Baß-Riff und das ganze verdichtete sich zu einem swingenden Strom. Das Stück strahlte eine ungeheure Wärme aus, weckte Assoziationen an afrikanische Küstenlandschaften, an denen die BewohnerInnen unbehelligter Dörfer ihren alltäglichen Arbeiten nachgehen, deren Laute sich zu einem friedlichen Rhythmus und Melodien von Freiheit vereinigen. Vielleicht wirkte das Stück auch deshalb so stark, weil es so sehr im Kontrast zum Auftreten der Musiker stand, die cool und unbeteiligt den Soli ihrer Mitspieler zuhörten.

Enttäuschend dagegen der zweite Set. Westcoast-Bebop konventionell bis zur Schalheit. Dazu trug besonders Pianist Alan Broadbent bei, der ein unerträglich seichtes „Barpiano“ spielte, selbst freie Passagen „verzuckerte“. Ernie Watts Virtuosität machte sein Spiel trotz der Konventionalität immer noch interessant, weil kleine Schnörkel und rasende Geschwindigkeit die Beliebigkeit durchbrechen. Charlie Haden pflegt in seinem Baß-Spiel seit jeher die Vorliebe für balladeske, melancholisch-intellektuelle Stimmungen in den unteren Registern, so auch an jenem Abend - bis auf eine Ausnahme.

Das Publikum war feierte jedes solo, zelebrierte die abgedroschensten Phrasen als musikalisches Ereignis. So verließ ich das Geschehen vor dem zu befürchtenden begeisterten Schlußapplaus.

Arnaud