K O M M E N T A R Chinesische Schüsse

■ Verdrängte Revolutions-Ideale aufgeplatzt

Für viele, die gestern in Bremen gegen das Pekinger Massaker an gewaltfreien Studenten demonstrierten, war es nicht das erste Mal, daß sie in Sachen China auf die Straße gingen. Mit Mao-Poster an der Wand und Mao-Bibel in der Hand haben nicht wenige von ihnen in den K-Gruppen der 70er Jahren im nach-kulturrevolutionären China das Mekka ihrer Ideale gesucht. Auch der Beginn des „Modernismus“ mit Deng Xiao Ping änderte daran nichts. Die, die hinfuhren, konnten die stalinistische Realität des nachmaoistischen Zentralstaats nicht fassen, die, denen davon zu Hause berichtet wurde, wollten sie nicht glauben. Daß die Volksarmee einmal auf das eigene Volk schießen würde - trotz Tibet und Kambodscha: Für fast alle war es unvorstellbar.

In den 80er Jahren verflüchtigte sich China in den linken Köpfen. Mit den politischen Illusionen verschwanden auch die Poster von den Wänden und die roten Bibeln aus den Regalen. Mitte der 80er war China so fern wie der eigene Traum von der Revolution. Erst die Schüsse auf dem Platz des himmlischen Friedens platzten mitten in das linke Vergessen. Die alten Ideale, für die China stand, waren nie aufgearbeitet, sondern schlicht verdrängt.

Dirk Asendorpf