Besetzung im Namen des Herren

■ „Autonome Christen“ wollen Arbeitslosenprojekt in der besetzten Lehrter Straße 50/51 / Eigentümer haben Abriß beantragt

Das backsteingroße Loch in der zugemauerten Wohnungstür im vierten Stock der Lehrter Straße 51 erlaubt nur eine eingeschränkte Sicht auf die „heiligen Hallen“. Die rund 20 Leute, die seit Freitag diese Wohnung besetzt halten, haben die Zeit bereits genutzt, um ihre eigenen Sanierungswünsche in die Tat umzusetzen: Der Geruch von Farbe dringt durch das Mauerloch, feuchte Tapeten kleben frisch an der abrißbedrohten Wand.

Die „autonomen Christen“, wie die Besetzer sich selbst in einem Flugblatt bezeichnen, wollen sich von ihrer Gesinnung her in keine politische Ecke treiben lassen - wenn auch das Flugblatt „nicht ganz so ernst“ gemeint gewesen wäre. Aber „ob rechts oder links, das spielt doch keine Rolle mehr, wenn es um Wohnungssuche geht“. Der heilige Geist schwebt also nicht durch die besetzten Räume, wohl aber der dringende Wunsch an den Bausenat, die Häuser zu kaufen, um damit einen Abriß zu verhindern. Den Antrag auf Abriß des Hauses hat die Eigentümergesellschaft Haberent bereits gestellt - einen verbindlichen Bescheid hat sie jedoch noch nicht erhalten, zumal auch die Ende letzten Jahres verabschiedete Erhaltungssatzung für diesen Bezirk dagegen spricht.

Erich Jesse, Senatsbeauftragter für Initiativen aus der Bevölkerung zur Verbesserung des Wohn- und Lebensumfeldes, hält die Vorder- und Hinterhäuser der Lehrter Straße 50/51 „von der städtebaulichen Lage her für erhaltungs- und modernisierungswürdig“. Deswegen die Häuser aber gleich zu kaufen, wäre zuviel verlangt, schließlich sei es nicht die Aufgabe des Senats, „heruntergewirtschaftete Grundstücke zu kaufen und damit dem Eigentümer noch Geld hinterherzuschieben“. Erst einmal müsse der Bezirk Tiergarten einen Antrag auf Bausubstanzprüfung und die Kosten einer Modernisierung prüfen. Am 15. Juni werden sich Baustadtrat Nagel, Bezirksbürgermeister Naujokat und der zuständige Baustadtrat zusammensetzen, um über die Zukunft der gesamten „ehemaligen Prachtstraße“ Lehrter Straße zu beraten. Ob die Zukunft dahin geht, in der Lehrter Straße 50/51 ein Selbsthilfeprojekt für Wohnungs- und Arbeitslose einzurichten, wie die Besetzer es wünschen, bleibt weiter ungewiß.

Wilfried Bete von der Haberrent betont indessen, daß das Vorderhaus Nr. 50 „selbstverständlich im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus modernisiert werden soll“. „Nur“ die Hinterhäuser, Seitenflügel und die gesamte Nr. 51 sollen nach dem Willen der Haberent abgerissen werden.

Von der Besetzung habe er erst gestern erfahren. Jetzt wolle er mit den Besetzern „Gespräche führen“, eine Räumungsklage haben diese, so Bete, jedoch vorerst nicht zu befürchten.

Martina Habersetzer