WE ARE THE CHAMPIONS

■ Erster Berliner Architekturpreis in den neuen Ausstellungsräumen der Galerie Aedes

Erster Sieger

Im Gegensatz zu Museumsplätzen geizt der neue Berliner Bausenator Nagel auf seinen Empfängen mit kalten Buffets, treibt seine Gäste verbissen an Buden, wenn ihnen der Magen knurrt, obwohl er doch wissen sollte, daß bei Architekten gerade die Bäuche besonders empfindlich reagieren. Kaltschnäuzig düpiert er die kulinarischen Hoffnungen professioneller Freßcrews und stürzt Trittbrettfahrer mittels flüssiger Nahrungsaufnahme in den Alkoholismus. Prompt quittierten die ihm den Mangel an Opulenz. Denn während Nagel unter den S-Bahnbögen in den neuen Ausstellungsräumen der Galerie Aedes den frischen Architekturpreis und dessen Notwendigkeit für die Architektur in und für Berlin pries, machten sich die Trinker massenhaft auf ins Freie vor die Tür und spülten sich mächtig die Kehle, daß dem spendablen Senator nichts mehr blieb. Es war sowieso nicht sein Tag.

Denn eindeutiger Sieger bei der Bekanntgabe der Preisträger für den ersten Berliner Architekturpreis war der schmuddelige Pizzabäcker in der S-Bahnpassage zwischen Savignyplatz und Bleibtreustraße, machte er doch das Geschäft seines Lebens. Dorthin waren Nagels Gäste geflüchtet. Da ging es rein in den Ofen und halbgar wieder raus. Flogen die Pizzableche. Dreimal längs und viermal quer geritzt wurden die Stücke mit dem langen Messer, an dem der geschmolzene Käse Fäden zog. Auf den kleinen Karton gehievt und zack, zack, zack geteilt. „Einsfuffzig Markk, mit Peperoni drufff!“ Die Blonde knallt das Geld rüber, schlabbert, weils überlappt und schleckt sich den Finger. Ihr Galan hat sich ein neues Glas Weißwein ergattert. Der Architekturpreis war längst vergessen und in vier Wochen, wenn der dreidimensionale Winkel überreicht wird, sind wir auch wieder da. Ciao!

Zweiter Sieger

Zweite Siegerin bei der Bekanntgabe der Preisträger für den ersten Berliner Architekturpreis war die nette Galeristin Kirstin Feireiss. Zeitgleich mit Nagels Prämierung eröffnete sie ihre neuen Räume in den renovierten Gewölben unter der S -Bahn, von denen zwei als Ausstellungsfläche dienen und ein Raum als Cafe genutzt wird.

Diese drohten vor Menschen deshalb fast zu platzen, hat sich die Galerie Aedes seit neuen Jahren zu einem Treffpunkt für Studenten, junge Architekten und spinnige Baumeister entwickelt, die neben den Architekturausstellungen den kritischen Diskurs über Architektur, innovative Planung und Berliner Stadtentwicklung suchen. Um den weiter anzuzetteln, hat die Galeristin ihre Räumlichkeiten zu einem Forum erweitert, dessen Konzeption vorsieht, neben Einzelausstellungen zu einer Institution für Seminare, Symposien und Workshops zu werden, in der Architekten eigene Projekte und Entwürfe präsentieren können und Bauvorhaben der Stadt unter die Lupe genommen werden sollen.

Integriert in das Architekturforum Aedes werden Veranstaltungen der Designerwerkstatt Christian Borngräber und ein Denkmalforum, geleitet von Michael S.Cullen, der Perspektiven städtischer Denkmalpflege einer Öffentlichkeit näherbringen möchte, die vom Verfahren erhaltenswerter Bausubstanzen bisher politisch abgeschnitten blieb. Zu hoffen bleibt, daß der Anspruch zwischen Dilettantismus und Professionalität nicht zum Zirkel eines schicken Salons verkümmert und Architektur zum schmückenden Design inszenierter Schaulust verkommt.

Dritter Sieger

Dritter Sieger bei der Bekanntgabe der Preisträger für den ersten Berliner Architekturpreis war die internationale Jury (Bollerey / Delft, Barteztko / Frankfurt, Aulenti / Mailand, Polivkova / Prag, Ackermann / München, Clelland / Glasgow und Posener / Berlin). Die hatte nämlich zu Beginn des Jahres ungenügende Vorschläge lässig zurückgewiesen und eine neue Nominierung verlangt. Denn was sollten Auszeichnungen für Architekten, Bauherren und Gebäude, gibt es doch keine, die zu preisen sind.

Jetzt, da die Champions gefunden sind, formulierte die Jury ein Unbehagen am Verfahren. Die Sparten hätten exakter differenziert werden sollen, damit beispielsweise Wohn- und Geschäftsbau nicht in einer Sektion auftauchen. Die Jury wünschte sich selbst ein Vorschlagsrecht und zusätzlich eine Verlängerung des Zeitraums für die Beurteilung. Außerdem sei im Hinblick auf eine qualifizierte Auswahl der Architektur einer zukünftigen Jury zu empfehlen, sich mit den jeweiligen Nutzern der Bauten vertraut zu machen, um Architektur nicht allein nach ästhetischer, sondern funktionaler Akzeptanz zu befragen und einschränkende Festlegungen zu verbessern.

Auch kann die Zielsetzung für den Berliner Architekturpreis nicht sein, prototypische, modische oder epigonale Architektur zu fördern, in deren Folge die Gefahr stilbildender Nachäffung und die Degradierung qualifizierter Originalität und Innovation liege. Zu preisende Architektur, gibt es diese überhaupt, wäre daher weniger die künstlerische Relevanz als die bauliche Beherrschung gesellschaftlicher Modelle, die die Plattitüde von der Synthese inhaltlicher wie formaler Qualität wieder mit Leben füllt und das fassadenhafte Dekor scheinbarer Harmonie vergessen macht. Angebracht seien „Zweifel gegenüber jeglicher Architektur, die bruchlose Kontinuität suggeriert und das Bild einer in sich geschlossenen Gesellschaft vermittelt, ohne Offenheit, ohne Zeichen von Provokation“, formulierte Franziska Bollerey, die Vorsitzende der Jury, weil Architektur nun einmal Produkt gesellschaftlicher Konditionen sei, nicht bloße Ideologie.

Vierter und eigentlicher Sieger

Sichere Nummern bei der Bekanntgabe der Preisträger machte die Jury, weil die ausgezeichneten Bauten vielfach den revolutionären Geist der klassischen Moderne beschwören, in dessen Tradition die Juroren sich vielfach selbst sehen und glaubten, damit postmoderner Architektur eins auswischen zu können.

So feiert Hermann Herztbergs IBA-Wohnbau (Sparte Wohnungs und Geschäftsbau) in der Lindenstraße den Halbkreis der Tautschen Hufeisensiedlung und Kiener / Lütckes rekonstruieren das brandgeschädigte Haus Eichkatzweg30 (Sparte Förderpreis) ganz im Sinne der zwanziger Jahre, wobei Details wie Handläufe, Geländer und Zäune fast wie fetischisierte Zeichen gegen die lieblosen Umbauten anderer Häuser der Siedlung stehen.

Eine regelrechte Inversion avantgardistischer Architektur ist Gustav Peichls industrielle Phosphateliminierungsanlage in Tegel (Sparte Industriebau). In seiner Großform dominiert ein Dampfermotiv mit Schiffsbauch, Kommandobrücke und Bullaugen, das aber als architektonisches Chiffre nicht den schnittigen Formen fortschrittsbesessener Maschinenstürmerei folgt, sondern diese collagenhaft ironisiert und zum Bild widersprüchlicher Funktionalität wird.

Bei der Sparte Sonderbauten hat die Juroren der Teufel geritten. Denn wie man Ganz / Rolfes Spezialbau für 'spezielle Irre‘, den Neubau der Forensischen Psychiatrie in der Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik als das ästhetische Meisterstück feiern kann, in dem Form, Funktion und Aussehen „geglückt und eine Anlage von überraschender und angenehmer Vielfalt“ entstanden ist, bleibt Geheimnis. Selbst wenn Architektur nicht mehr in dicken Mauern und Wachtürmen, vergitterten Fenstern und Gummizellen daherkommt, so bleibt sie doch bei aller kaschierten Abgeschlossenheit eine Verwahranstalt, bei der versteckte Überwachungseinrichtungen und Sperren, dickes Panzerglas und Offenheit simulierende Verweilzonen nur das bauliche Äquivalent für das Harmonisieren psychosozialer Konflikte sind. So überrascht weniger der Versuch, Architektur einen therapeutischen Impetus zu geben, als die Terminologie der sich sonst so kämpferisch gebenden Jury, die Glasdächern selbst dann den Hauch von Freiheit zugesteht, wenn diese blind, ausbruchsicher und vielleicht unüberwindlich sind.

rola

Alle Nominierungen und die Preisträger sind noch bis zum 2.Juli in der Galerie Aedes, S-Bahnbogen 600, zwischen Bleibtreustraße und Savignyplatz ausgestellt. Täglich von 10 -18 Uhr.