: Kapitale Kompromisse
■ Joschka Fischer heute: Der Kapitalismus als bessere Gesellschaftsform
Vor Zeiten, als auch Joschka Fischer noch revolutionärer Betriebskämpfer war, stand die Entlarvung des Kapitals tagtäglich auf dem Programm. Zwanzig Jahre später stimmt zwar noch die Analyse von der Macht der Unternehmer, nur der Blickwinkel hat sich verändert: Nicht mehr „Weg mit“ ist die Losung, nun ist das Kapital die innovative gesellschaftliche Speerspitze. Joschka Fischer ist Marktwirtschaftler geworden; die FDP wird es mit Freude hören. Der ehemalige Umweltminister übt berechtigte Schelte an der Umweltpolitik der Bundesrepublik, die diesen Namen nicht verdient. Für seine Ansicht hat Fischer einiges auf seiner Seite. Es ist sicher richtig, daß eine verursacherzentrierte Umweltschadenshaftung und die Berücksichtigung gesamtgesellschaftlicher Kosten der Herstellungsverfahren einen betrieblichen Kalkulationsdruck hin zu umweltschonenden Produktionen bewirken kann. Es mag auch zutreffend sein, daß viele Unternehmer - angesichts der Vielzahl von Antroposophen in den Führungsetagen fortschrittlicher sind als ihre Belegschaften.
Zugleich aber verbindet Fischer damit eine generelle Huldigung des Kapitalismus als einzige Wirtschaftsform, die in der Lage sei, die globalen Umweltprobleme zu lösen. Hier wird die Mär eines überlegenden Kapitalismus gestrickt, der angesichts eines weitreichenden staatlichen Regulierungs und Planungsmechanismus überhaupt nicht mehr in dieser Reinheit existiert. Die Umwelt ausschließlich als Wirtschaftsgut zu betrachten, entläßt andere Instrumente staatlichen Handelns aus dem Blickfeld. Was passiert mit den nicht so innovativen oder buchhalterisch unterbemittelten Umweltsäuen, denen alles egal ist? Wichtiger aber: Der Ansatz akzeptiert daneben einen Gesellschaftsentwurf, der vom Profitmechanismus beherrscht wird.
War der Politikansatz der Grünen nicht einst weiter gespannt? Eine menschlichere Gesellschaft kann nicht in der Hülle verbrauchter und diskreditierter Konzepte entstehen; der Kapitalismus mag innovativer sein und schneller und geschickter auf Krisen zu reagieren in der Lage sein als Formen des real existierenden Sozialismus; die Unterdrückung und das millionenfache Elend ausgebeuteter Menschen kann das nicht aufwiegen. Das Credo der Marktwirtschaft antwortet nicht auf die systemimmanenten, menschenzerstörerischen Auswirkungen kapitalistischen Handelns. Mit der Anerkenntnis des Profits arbeitet Fischer einer Koalitionsfähigkeit der Grünen bis hin zu einer Ampel-Koalition mit SPD und FDP zu. Gleichzeitig aber ist es auch ein Abschied vom Glauben der umwälzenden Kraft einer politischen Moral als Antriebsmotor gesellschaftlicher Umwälzungen. Die sogenannten Selbstheilungskräfte des Marktes haben die Altparteien zu oft beschworen, als daß die Grünen nicht auch wissen müßten, auf wessen Kosten das ging: Auch wenn die drohende Umweltkatastrophe alle trifft, eine Klassengesellschaft bleibt die Bundesrepublik dennoch.
Gerd Nowakowski
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