Floskeln aus dem Kreml, Hungerstreik in Warschau

Berlin (dpa/taz) - Aus dem Kreml war auch am Dienstag keine Stellungnahme zu der blutigen Niederschlagung der Studentenproteste in China zu hören. Dafür verabschiedete der sowjetische Kongreß der Volksdeputierten eine Resolution. Man sprach von „tragischen Ereignissen, denen man nicht unbeteiligt zusehen kann“. Es handele sich jedoch um eine „innere Angelegenheit der Volksrepublik“. Der Volkskongreß hoffe, daß „das große chinesische Volk diese Krise überwinden wird“. Das war die erste offizielle sowjetische Erklärung zu der blutigen Niederschlagung der Massenproteste in Peking vom vergangenen Sonntag.

In Warschau haben etwa dreißig junge Leute vor der chinesischen Botschaft einen Hungerstreik begonnen. Sie wollen so lange ausharren, bis die polnische Regierung eindeutig Stellung zum Militäreinsatz gegen die chinesischen Studenten bezieht.

Auch in Ost-Berlin haben nach Informationen der taz etwa 20 Menschen an einem Sitzstreik vor der chinesischen Botschaft teilgenommen. In den polnischen Medien wird das Vorgehen der Volksarmee eindeutig verurteilt und als Beweis dafür dargestellt, wie verderblich es sei, wenn auf wirtschaftliche Reformen keine politischen folgten.

Einen „Unterschied wie Tag und Nacht“ hatte Jürgen Weidlich, Kommentator der FDJ-Zeitung 'Junge Welt‘ (siehe Dokumentation Seite 8) in der Berichterstattung bundesdeutscher und DDR-Medien festgestellt. Wem glauben, fragte Weidlich rhetorisch in einem Kommentar der Dienstagsausgabe, und warf westlichen Medien vor, die Stimmung gegen die chinesische Regierung anzuheizen. An die eigenen Leser appellierte Weidlich, westlichen Berichten keinen Glauben zu schenken und statt dessen auf die eigenen Korrespondenten zu hören.

Daran halten sich offenbar nicht alle. Die 'Junge Welt‘ sei eben das Hardliner-Blatt für Schüler, sagte XY, kirchlicher Mitarbeiter in Ost-Berlin. „Die sind aber mittlerweile auch ganz helle geworden und reagieren auf so was eher mit Wut.“ Was sich in China nun zeigt, „ist die blanke Macht - und das kenne ich auch aus der DDR. Das kann auch bei uns passieren. Die Betriebskampfgruppen üben schließlich nach wie vor Aufstandsbekämpfung.“

Bärbel Bohley, Mitarbeiterin der DDR-Friedensbewegung, sieht in der SED-Berichterstattung den Versuch einer Drohung gegen die eigene Opposition. „Aber das verfängt nicht mehr.“ Allerdings habe sie immer mit einem Eingreifen der Militärs gerechnet, über den Optimismus vieler westlicher Medien über einen möglichen Sieg der chinesischen Studenten könne sie sich nur wundern.

Während die DDR-Medien weiterhin an der Version der „Niederschlagung eines konterrevolutionären Aufstandes in China“ festhalten, übt sich die tschechoslowakische Presse in Zurückhaltung. Zwar wurde am Dienstag über die Erklärung des chinesischen Zentralkomitees berichtet, wonach „die Konterrevolutionäre ihre Niederlage nicht eingestehen wollen“. Gleichzeitig erfuhren die tschechischen Bürger/innen jedoch, daß es sich hierbei um eine Wertung der chinesischen Führung handele.

Nach den Worten des Generalsekretärs der Kommunistischen Partei Italiens (KPI), Achille Occhetto, haben die Ereignisse in China bestätigt, daß es den Kommunismus „als organisches und einheitliches System“ nicht mehr gibt.

In einem Interview sagte Occhetto: „In den Ländern des Ostens ist Kommunismus ein Begriff, der keinen Bezug mehr zu den eigenen historischen Ursprüngen hat und der eine politische Verpackung definiert, die völlig falsch ist.“

Zur Rolle Deng Xiaopings meinte Occhetto, daß er schon immer wegen der „Härte und eines gewissen Fanatismus“ dieses Mannes mißtrauisch gewesen sei. Die autoritäre Modernisierung in China habe nichts mit den „sozialistischen Idealen“ zu tun.

anb