China: Soldaten schießen auf Soldaten Gerüchte über den Tod Dengs

■ Weitere Hinweise auf Kämpfe zwischen Truppenteilen an mehreren Stellen Pekings / Geschützdonner in der Hauptstadt / Vier Truppenteile fordern die 27. Armee auf, die Waffen zu strecken / Bericht aus Taiwan: Militärmachthaber Deng Xiaoping an Krebs gestorben / TV-Dementi aus Peking / Führung weiterhin nicht an der Öffentlichkeit / Hunderte von Todesopfern auch in der Provinz

Peking (dpa/afp/ap/taz) - Die Macht mag in China beim Militär liegen, aber wer im Militär die Macht hat, war gestern völlig unklar: Soldaten schießen in Peking auf Soldaten. Und: Der greise Deng Xiaoping wurde in hartnäckigen Gerüchten bereits totgesagt.

Zwar kamen aus der chinesischen Hauptstadt am Dienstag keine gesicherten Informationen. Aber unter Berufung auf gut informierte chinesische Quellen haben sich laut 'dpa‘ mehrere Truppenteile zusammengeschlossen, um gegen die Einheit vorzugehen, die das Blutbad unter der Pekinger Bevölkerung angerichtet hat. Vier Verbände hätten die betreffende 27. Armee-Einheit ultimativ aufgefordert, die Waffen niederzulegen. Die bislang vom 84jährigen Deng geführte Militärkommission habe die oberste Kontrolle über die Armee bereits verloren.

Die in Peking stationierten Soldaten und Panzer bezogen an allen strategisch wichtigen Punkten der Stadt Stellung und richteten sich nach Einschätzung von Beobachtern eher auf das Eintreffen rebellierender Armee-Einheiten ein als auf die Niederschlagung neuer Proteste innerhalb der Bevölkerung. Mehrere Diplomaten berichteten 'afp‘ von Militärtrupps, die von Osten her auf Peking zumarschierten; auch soll es auf dem Luftwaffenstützpunkt Nanyuan 25 Kilometer südostlich von Peking zu Gefechten gekommen sein. Im Westen Pekings war am Dienstag nachmittag (Ortszeit) schwerer Geschützdonner zu hören, der auf Gefechte zwischen rebellierenden und regierungstreuen Truppenteilen schließen ließ. Rund ein Dutzend Detonationen hallten etwa durch den Stadtteil Jian Guo Men Wai, wo am Montag abend rund 20 Sturmpanzer und rund tausend Soldaten offenbar in Erwartung aufständischer Armee-Einheiten Stellung bezogen hatten. Unbestätigten Berichten zufolge schießen rebellierende und loyale Truppenteile schon seit Montag abend aufeinander. Ein chinesischer Gewährsmann sagte 'ap‘, er habe in einer Straße im Südosten der Hauptstadt sieben offenbar bei einem Feuergefecht verwundete Soldaten gesehen. Anderen Angaben zufolge kämpften Soldaten gegeneinander nahe des Platzes des Himmlischen Friedens und im Südwesten Pekings. Am Morgen verließen neun Panzer und zehn Truppentransporter den Tiananmen in Richtung Osten. Etliche Soldaten sollen sich mit der Massenbewegung für mehr Demokratie solidarisiert haben.

Die politische Führung Chinas trat auch am Dienstag nicht in Erscheinung. Nach Angaben einer gewöhnlich gut informierten Pekinger Quelle soll der greise Machthaber Deng Xiaoping mit Prostatakrebs im Krankenhaus liegen. Andere hartnäckige Gerüchte, die offenbar auf den taiwanesischen Geheimdienst zurückgehen, besagen, Deng sei bereits gestorben. Dagegen setzte das chinesische Fernsehen in ungewöhnlicher Form ein Dementi: Die „Falschmeldung“ solle „das Volk verwirren und Chaos schaffen“. Zeitungen erscheinen in Peking seit Samstag nicht mehr. Zeitungen in Hongkong berichteten, Ministerpräsident Li Peng sei bei einem Attentatsversuch in den Oberschenkel geschossen worden. Entgegen ersten Gerüchten sei er jedoch nicht ums Leben gekommen. Li Peng hatte den Ausnahmezustand ausgerufen.

Die einzige offizielle Stellungnahme, die sich mit einem Namen verbinden läßt, stammt von Regierungssprecher Yuan Mu. Er bescheinigte der Armee auf einer vom Fernsehen übertragenen Pressekonferenz nur einen „teilweisen Sieg über die Konterrevolutionäre“. Die Situation in Peking sei Fortsetzung auf Seite 2

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„noch immer sehr ernst“. Die Armee-Offensive habe bislang fast 300 Soldaten, „unschuldige Mitglieder der Gesellschaft“ und „kriminelle Elemente, die bekommen haben, was sie verdienten“, das Leben gekostet.

Aus Chengdu im Südwesten Chinas wurden schwere Unruhen gemeldet, die seit Montag mindestens 300 Menschenleben und an die tausend

Verletzte gefordert haben sollen. Seit Sonntag gelte in der Provinzhauptstadt von Sichuan das Kriegsrecht, berichteten Einwohner Chengdus telefonisch nach Hongkong. Es sei zu schweren Zusammenstößen zwischen Armee und Demonstranten gekommen. Auch in allen anderen wichtigen Provinzstädten wurden Massenkundgebungen und Blockadeaktionen organisiert, während vor Schanghai und

Nanking Truppenbewegungen zu beobachten waren. In Schanghai blockierten Demonstranten sämtliche Hauptstraßen und die großen Kreuzungen. Der Rundfunk berichtete von ersten Versorgungsengpässen. Lebensmittelmangel herrscht auch in Peking. Hier blieb das öffentliche Leben lahmgelegt. Umfangreiche Protestaktionen gab es auch in Xian, Harbin, Tianjin, Wuhan, Changsha und Kanton.

ar