Schlägt Wurst Käse?

■ Wettbewerb der Marktschreiergilde am Wochenende in Osterholz-Scharmbeck

Wenn Wurst-Herby und Taschen-Gudi in drei Tagen acht Tonnen Würste und 10.000 Ledertaschen verschleudern, mit welchen Südfrüchten wirft dann Bananen-Mathes in derselben Zeit?

In Osterholz-Scharmbeck treffen sich am Wochenende Wurst -Herby und die anderen der Marktschreiergilde und brüllen markterschütternd im Wettbewerb.

Vor knapp 20 Jahren hat sich der Sprockhöveler Agent Elmar Borgschulze der in seiner PR-Schublade brachliegenden Schreiergilde angenommen und sie seitdem erfolgreich von Fußgängerzone zu Fußgängerzone geführt. Gilde ist ein zu schönes Wort, um nicht mehr wahr zu sein. Im Winter, wenn's schneit, geht er schon mal in ein Archiv, um den ersten Marktschrei in der Geschichte aufzuspüren. Ach,

damals! So gegen 1428! Da hat Herr Borgschulze den ersten Nachweis der Marktschreiergilde entdeckt. Das war eine Zeit, in der alle die jahrhundertalten Werte gerade erst erfunden wurden, die circa 500 Jahre später über Bord geworfen werden würden. Da brauchten Agenten noch keine Tiefbauamts -Wirtschaftsamts-Umweltschutz- amts-StraßenverkehrsamtsgenehmigungenDa war die Welt ein einziger Basar. „Sie kennen Basare?“ Elmar Borgschulze ist nur kurz bekümmert. Schließlich klappt die Sache. Seine 24 -köpfige Marktschreiertruppe folgt ihm wie ein Mann und drei Frauen, wenn's sein muß „bis in die Serengeti“. Ihr Serengeti hatten die leicht Lenkbaren in Bad Karlshafen. Beim Stand-und LKW-Aufbau wurde unter der

Hand gemeutert, aber 60 000 umschrieene Begeisterte und Sondereinsatzwagen der Polizei Kassel gaben Obergrüppleinführer Borgschulze recht.

Durchschnittlich fünfzehn mal im Jahr ordnet er sich den zumeist selbständigen Geschäftsleuten marktweisend über und übt keinen Druck aus auf die Ware aller Art. Während die meisten Schreihälse ihre „im Grunde genommen erstklassigen“ Wurstblumentaschengurkenbananenkvon LKWs herunter wunderbar dezimieren wie weiland warme Semmeln, sorgen auf der Erde Düsen-Willi, Roller-Gisela und Hobel-Hermann („Er wird eine Mohrrübe auf sie zu hobeln!“) für die Beschallung. Aber ohne Wettbewerb kein Sieger. Wer am meisten, am weitesten und am umson

stesten vom LKW wirft, das entscheidet das Publikum („Gehen Sie in Ruhe über den Platz und entscheiden Sie!“). Frau Borgschulze schaltet sich ein und berichtet über den Ehrgeiz des Marktschreiers. Da rollt so manche Träne über den Platz: „Das sind Idealisten!“ Und kaum einer geht auf's Klo, während er marktschreit.

Die Todesrate ist denn auch hoch. Im vorigen Jahr „haben wir AAl-Jürgen und Wurst-Herby d.Ä. verloren“. Auch pressetechnisch „haut das in's Negative“. Die Todesursache ist Herrn und Frau Borgschulze jeweils ein Rätsel. Vermutlich haben sie sich die Seele aus dem Leib geschrieen. Und wenn die anderen nicht gestorben sind, dann leben sie noch bis Sonntag. Claudia Kohlhas