Herr Pfarrer mordet selten

■ „Tatort Kirche“: Über die bösartige Nettigkeit der Christen und die Schwierigkeit, über sie zu schreiben

Gut 30 Interessierte waren Dienstag abend gekommen, darunter Krimi-AutorInnen, Journaille und ein irgendwie dazugehörender Freundeskreis. Aber wer würde auch freiwillig zu einer Veranstaltung namens „Tatort Kirche“ gehen.

Am Diskutantentisch hatte eine sechsköpfige Herrenriege Platz genommen: ein Moderator, ein Akademiker, zwei Lektoren und zwei Gläubige (konfessionell quotiert). Eingangs referierte der Moderator (Klaus Dieter Walkhoff-Jordan) eine kurze Chronologie des Kirchenkrimi-Komplexes. Erstes Auftauchen 1850, ab 1905 bis 1935 der allseits bekannte Pater „Rühmann“ Brown, Schwester Ursula (1940), Reverend Dr.Buell (1948) und so weiter bis heute, woraus ersichtlich sei, daß das Thema „Tatort Kirche“ gar nicht so abwegig sei.

Nach dieser Einführung ging dann der - ja was nun? Streit, Disput, Plausch los. Georg Schmidt (Lektor beim Ullstein-Verlag) trachtet stets danach, kurze provokante Statements loszuwerden: „Dramatisierung einer klerikalen Sauerei muß doch geil sein“, oder ganz Reich-Ranicki-mäßig: „Ich vermisse den großen deutschen Thriller.“ Auch wenn er so hartgesotten agierte wie frisch einem Ullstein-Krimi entsprungen, bei den Kirchenvertretern stieß er nur auf freundlich-verständnisvolles Lächeln. Pfarrer Gehlen (ev.) bekannte sich als Krimileser und verstummte fürderhin. Herr Brunner (kath. Theologe) sprach ausdrücklich als Normalverbraucher, gab Kirchenskandale freimütig zu, wußte aber auch nicht so recht, warum es keinen deutschen Krimi dazu gebe, und beklagt nachdrücklich die Tabuisierung von Glaubensfragen in der heutigen Gesellschaft. Burkhard Tewes (TU) hatte ganz andere Sorgen. Die Stoffe seien doch sowieso uninteressant, die Schemata müssen gesprengt werden. Außerdem sei der Detektiv die Fortsetzung des Pfarrers mit anderem Umfeld, aber gleichen Mitteln und Zielen (Zölibat, Moral, Gerechtigkeit).

Otto Kallscheuer (Lektor Rotbuch-Verlag) erwies sich als allseits gebildete Persönlichkeit und setzte immer wieder zu einem schwindelerregenden Ritt durch die Jahrhunderte an: Kirchengeschichte, Foucault, Postmoderne. Schließlich brachte er die ausufernde Diskussion als dialektisch Erfahrener wenigstens einmal auf die Synthese. Man habe es heute mit einer säkularisierten Moral zu tun, Kirche sei kein Ort mehr für die Moral (da Krimis laut Ambler die letzte Zuflucht für Moralisten seien, sei es also kein Wunder, daß Kirche in westdeutschen Krimis keine Rolle spiele), andererseits sei die Kirche gleichzeitig als politische Instanz nicht zu übersehen, was die Forderung bekräftige, Kirche müsse ein Thema im Krimi sein.

Kurz vor Toresschluß gab es noch Einblicke in die Produktionsbedingungen von KrimiautorInnen. Pieke Biermann führte aus, sie brauche Haß und Wut (wenigstens keine Trauer), um einen Krimi zu schreiben, und wenn sie dann zu recherchieren anfange, stoße sie auf so nette Kirchenherren wie eben jene am Diskutantentisch, und wenn sie dann noch an die guten Seiten der Christen denke (Friedensbewegung), ja, dann dann falle es ihr schwer zu schreiben.

Na dann ist ja alles klar. Es gibt zu viele nette Christen. Das wär doch ein reizvolles Thema: die bösartige Nettigkeit der Christen. Patricia Highsmith hat's vorgemacht in „Leute, die an die Tür klopfen“: Tatort Seele.

Volker Grunske