„Herr Ströbele, ziehen sie doch rüber“

■ Junge Union Neukölln lud zum „Duell“: AL-Vorstand Ströbele gegen CDU-Chef Landowsky / 82 Tage Rot-Grün in Berlin / Die Fans unterstützten überwiegend die CDU-Mannschaft / Das Publikum tobte / Wenn das Klatschbarometer zu entscheiden gehabt hätte: Ströbele hätte gewonnen

Nichts scheint die Anhänger der Berliner CDU so zu mobilisieren wie Tempo 100 auf der Avus, die sanfte Drohung mit Parkgebühren für Beamte oder eine Absage an das donnernde Avusring-Rennen in diesem Jahr. Die Mannschaftstaktik der Rot-Grünen im Senat interpretieren die Anhänger des CDU-Vereins als böswillige Schikane - aus dem ein miserables Spiel folgt, bei dem die Stimmung nur über Empörung aufkommen kann.

Eine These, die es auch am Dienstag wieder zu beweisen galt. Als Ausrichter eines Treffens zwischen den Vereinen Rot-Grün und Rein-Schwarz - großspurig als „Duell“ angekündigt - fungierte der unionsnahe Fanclub „Junge Union Neukölln“. Wegweisend auch die Pfeile, die zur Spielstätte, dem Tischtennissaal des Gemeinschaftshauses, führten. Sie kündeten vom anstehenden Ereignis: „Ströbele gegen Landowsky“.

Würdig startete die Partie, und mit über 200 Zuschauern war sie ausverkauft. Die Spielanlage der beiden Außen war zu Beginn eher bedächtig. Zehn Wochen rot-grüner Senat - ein Thema so richtig für ein „Duell“. Für den einen im Prinzip ein voller Erfolg, wenn man einmal von den Altlasten vorangegangener Spiele absieht, für den anderen aber eher ein täglich wiederkehrendes Ärgernis.

Daß die Stärken und Schwächen der Kontrahenten schon vor Beginn der Veranstaltung im Gemeinschaftshaus der Gropiusstadt feststanden, beeindruckte die Fans in ihrer überwiegenden Anzahl nicht. Gab es doch endlich einmal die Möglichkeit, den Vertreter der alternativen Bösewichte aus der Nähe zu begutachten und ihm so richtig eins draufzugeben.

Hätte man, dem Beispiel populärer Fernsehunterhaltung folgend, den Lärmpegel während der Auseinandersetzung ermittelt, Ströbele wäre unzweifelhaft als Sieger aus dem „Duell“ hervorgegangen. Ströbeles Erfolgsrezept: die AL -Positionen nicht aufgeben, nur nicht in die Verteidigung drängen lassen, und der Erfolg - gemessen am Lärm - ist sicher.

Trotz Heimspielbonus konnte Landowsky da nicht mithalten. Obwohl betont leger, auch mal das eigene Klientel beruhigend („Laßt den Ströbele doch mal ausreden“), sein Fazit nach 82 Tagen rot-grüner Senatsarbeit konnte die CDU-Anhängerschaft nicht so recht anspornen. Der strategische Aufbau seines Spieles war eher konventionell. Tempo 100, der 1.Mai und schließlich die vielen Ausländer, die - Gott bewahre - in Berlin vielleicht bald auch noch wählen dürfen. Eher bescheiden das Resümee des großen CDU-Vorsitzenden, der dem Gegner ins Stammbuch schreiben wollte, nach nur zehn Wochen „stehen Sie schon heute mit dem Rücken zur Wand“.

Stimmung kam eigentlich erst auf, als die Fans das Heft selber in die Hand nahmen. Die CDU-Hooligans gingen in die Offensive. Mit furiosen Sprüchen wie: „Sie haben doch gesagt, daß Mord ein politisch legitimes Mittel ist“, „der AL-Überfall auf das Rathaus in Neukölln in bester SA-Manier“ oder „Sie wollen doch nur die linken GEW-Lehrer aus Wessiland herholen“ attackierten sie den eingeladenen Gegenspieler, den „geistigen Urvater“ des Verfalls des staatlichen Gewaltmonopols.

Die Spielanlage hätte tragen können, wären da nicht die Aufschlagverluste des Oppositionsführers gewesen: „die Luft aus dem Senat ist schon raus“ und „täglich bilden sich neue Bürgerinitiativen“ gegen die amtierende Regierung. Den Wahrheitsbeweis wollte oder konnte Landowsky nicht antreten. Das Publikum störte es weniger, bei Hertha wird schließlich auch geklatscht, wenn es nicht gerade ein Eigentor ist.

Gekonnte Ballwechsel waren selten. Aufschlag Landowsky: Die AL hat ihre Vision einer „autonomen Friedensstadt“ aufgegeben. Den Zuhörern verschlug's die Stimme - was will er damit sagen. Und atemberaubend der Return des AL -Vordenkers. Seine Utopie: „Einmal wieder in der Spree schwimmen.“ Unvorstellbar.

Im Mittelteil der Begegnung verflachte das Spiel erheblich. Wiederum sorgten nur die Einwürfe der Fans für Stimmung. Zweifelloser Höhepunkt in dieser Phase war die Frage einer weiblichen Zuschauerin. Sie konterte Ströbeles Ausführung zur alternativen Ausländerpolitik mit einem beherzten „Herr Ströbele, warum ziehen Sie nicht nach drüben?“ Erregung schwappte durch die Fangemeinde, Ströbele in bester Abwehrstellung konterte mit der Affinität mehrerer REP -Abgeordneter zur CDU-Mannschaft und den erst kürzlich vollzogenen Vereinswechseln. Mannschaftschef Landowsky nahm den Publikumszuruf dankbar auf und hieb mit einem „Sie selber haben eine zehnmonatige Vorstrafe wegen terroristischer Umtriebe“ auf den Kontrahenten ein.

Gewaltdebatte und 1.Mai kamen erst gegen Ende ins Spiel. Landowsky: „Mit Heinrich Lummer als Innensenator hätte es diese Krawalle nicht gegeben.“ Vergessen waren die früheren Blamagen, als der CDU-Rechtsaußen Lummer in bester Napoleon -Pose auf dem Spielfeld geräumter Häuser die Händchen zwischen die Knöpfe seine Sakkos schob und die Vereinsspitze seinen Transfer nach Bonn anordnete. Gegen Ende der Begegnung schwoll der Beifall für den Vertreter der gegnerischen Mannschaft tumultartig an, den Berichterstattern war der Spielverlauf kurzzeitig nicht mehr nachvollziehbar. Der AL-Vertreter hatte angesetzt, die weitere Strategie ihrer Mannschaft zu entwerfen: eiserne Disziplin und Festhalten an der bisherigen Spieltheorie, etwa am Beschluß von Tempo 100.

Heimspieler Landowsky gab sich am Ende beinahe geschlagen. Zur gegnerischen Taktik „fällt mir außer dem Wort Schikane nicht viel ein“. Und „das was wir an Distanz zu den Bürgern in acht Jahren vollbracht haben, haben die in zehn Wochen geschafft“.

wg