Kerniger Abriß im Wedding

■ Trotz Abrißstopps gehen rund 500 Wohnungen im Wedding verloren, wenn 36 Gebäude abgerissen werden / Entkernung und Neubau als Gründe angegeben

Im Wedding geht noch immer das Sanierungsgespenst um: Rund 500 Wohnungen sollen, so Ergebnisse des Mietervereins, im nördlichen Kiez abgerissen werden. „Hier wird preiswerter Wohnraum vernichtet mit dem uralten Argument, mehr Freifläche zwischen den Häusern schaffen zu müssen“, erklärte Klaus Sprengel, Vorstandsmitglied des Weddinger Mietervereins, gestern vormittag vor der Presse.

Zusammen mit seinem Kollegen Thomas Koch hatte Sprengel eine Busfahrt für Journalisten organisiert, um anhand von fünf betroffenen Gebäuden das zweifelhafte Abrißvorhaben vor Augen zu führen. Insgesamt stünden 36 Häuser im Wedding, zum größten Teil Quergebäude und Seitenflügel, auf der Abschußliste, so Sprengel. Zum Teil ist der Abriß schon ausgeführt, wie in der Koloniestraße 5-8. Dort sind ein Quergebäude und die Seitenflügel bereits verschwunden. Auf dem Abbruchgelände, das der Klingbeil-Gruppe gehört, sind Neubauwohnungen sowie ein Übergangswohnheim für Aussiedler geplant.

„Wir wollen vor allem Wohnraum erhalten, der preiswert ist“, erläuterte Koch bei der Fahrt durch den Kiez. Zwar habe Bausenator Nagel derzeit für Berlin einen grundsätzlichen Abrißstopp verfügt, das heiße aber noch lange nicht, daß die 36 Gebäude nicht trotzdem flachfielen. „Wenn Häuser abgerissen werden, ohne Ersatz zu schaffen, dann muß man sich auch fragen, wie das mit der Wohnungsnot zu vereinbaren ist“, so Koch. Ein Beispiel des Mietervereins für die verquere Wohnungspolitik ist das Haus Müllerstraße 132. Dort wolle das Bezirksamt laut Sprengel die Eigentümerin zwingen, gegen ihren Willen einen Seitenflügel mit zehn Wohnungen abzureißen.

Baustadtrat Dieter Scholz will zwar im Einzelfall über geplante Abrißvorhaben diskutieren. „Sanierungsziel ist aber, desolaten Wohnraum zugunsten von Neubau und Entkernung abzureißen“, sagte Scholz gegenüber der taz. Letzteres sei natürlich ein Widerspruch zur akuten Wohnungsnot. Einerseits wolle man das Wohnumfeld der Weddinger durch mehr Freiflächen verbessern, andererseits müsse neuer Wohnraum geschaffen werden. „Vielleicht wird man dann in Zukunft eben entkernte Wohngebiete wieder verdichten müssen“, prognostizierte der Baustadtrat schildbürgerlich.

Zu Einzelheiten will der Baustadtrat heute um 19.30 Uhr in einer Podiumsdiskussion mit Mietern Stellung nehmen. Ort der Abrißveranstaltung: der BVV-Saal im Rathaus Wedding, Müllerstraße 146/147.

cb