„Frau des Wortes“

Auszüge aus dem Vorwort zu „Frausein allein ist kein Programm“, einer Sammlung von journalistischen Texten von Ingrid Strobl  ■ D O K U M E N T A T I O N

Als mir Traute Hensch vorschlug, einen Teil meiner Artikel als Buch herauszugeben, war ich beschämt. Es war mir peinlich. Die Sammlung von journalistischer Tages-Arbeit im dauerhaften Rahmen eines Buches erscheint mir noch immer als eine unzulässige Überhöhung.

Dagegen stand das ironische Argument, vorgebracht von Freundinnen und Traute Hensch: „Willst Du es dem Gericht überlassen, den Leuten Deine Artikel wieder zugänglich zu machen?“ Das mobilisierte eine Art Trotz in mir, denn bereits an einem der ersten Verhandlungstage hatte das „hohe Gericht“ eine stattliche Sammlung meiner Artikel verlesen. Nicht, um mir oder interessierten Zuhörer(inne)n einen Gefallen zu tun, sondern um meine „Gesinnung“, sprich „Gefährlichkeit“, nachzuweisen. Ich habe mir diese Lesung sehr aufmerksam angehört. Man merkt sich nicht, was man im Laufe vieler Jahre alles geschrieben hat. Ich wurde selbst neugierig darauf, was ich schreibend „verbrochen“ haben sollte.

Ich glaube, das ist ein akzeptabler Grund, vielleicht der einzige, diese Texte in Buchform herauszugeben: Um zu zeigen, was in diesem Staat als „kriminell“, verurteilenswert, als „knastreif“ gilt. Insofern kann die Lektüre meiner Texte tatsächlich politisch lehrreich sein. Diese Artikel, zum Teil journalistisches Tagewerk, zum Teil Versuche, bestimmte Phänomene, die mir wichtig scheinen, zu analysieren, Versuche einer radikalfeministischen Theoriebildung, erleben seit meiner Verhaftung die erstaunlichsten Metamorphosen. Während ich noch in Freiheit war, wurden diese Texte als das genommen, was sie sind: Auseinandersetzungen mit bestimmten Situationen, Personen, Zuständen. Die einen fühlten sich bestätigt, die anderen provoziert oder abgestoßen. wieder andere blieben gleichgültig. Doch plötzlich wurde aus der Schreiberin eine Angeklagte, ein mutmaßliches Mitglied einer „terroristischen Vereinigung“. Und aus dem Geschriebenen wurde ein „Beweismittel“. Für die Ermittler und Ankläger bewiesen meine Texte (die sie vorher nicht sonderlich beachtet hatten) von Stund an, daß mir alles zuzutrauen sei. Wohlmeinendere Menschen meinten, daß jemand, die derartige Artikel schreibt, keine „Terroristin“ sein kann. Dabei hat sich nicht das Geschriebene verändert, sondern nur die Perspektive der Rezipient(inn)en. Die Texte an sich beweisen gar nichts. Weder das eine noch das andere.

Ich werde gelegentlich eine „Frau des Wortes“ genannt, und die mich so bezeichnen, meinen damit implizit, daß ich keine Frau der Tat sein kann. Die Vermutung ist verständlich, fragwürdig ist die damit verbundene Wertung. Da diese Trennung von Wort und Tat gerade an meiner Person exemplifiziert wird, habe ich begonnen, mich mit diesem Phänomen intensiver zu beschäftigen und habe mir einige Fragen gestellt.

Es scheint so zu sein, daß sich die Waffe der Kritik und die Kritik der Waffen gegenseitig ausschließen, zumindest in Bezug auf die jeweiligen Akteure und Akteurinnen. (...) Die einen schreiben, die anderen kämpfen mit der Waffe in der Hand. Selten tut ein und dieselbe Person beides gleichzeitig, Bakunin, Che Guevara und Mao Zedong sind die bekanntesten Ausnahmen. (...)

Doch Kämpfende, die zugleich schreiben, und Schreibende, die zugleich kämpfen, scheint es kaum zu geben. Die Trennung von „Kopf- und Handarbeit“ scheint auch unter Revolutionären und -innen nicht aufgehoben. Das hat viele Gründe. Der einfachste ist der, daß Menschen in einer akuten bewaffneten Konfrontation mit dem Staat oder fremden Besatzern keine Zeit haben, sich an den Schreibtisch zu setzen und Literatur oder Theorie zu produzieren. Es gibt Zeiten, so Brecht, in denen der Text eines illegalen Flugblattes die wertvollste Prosa ist.

Ein anderer Grund liegt im Akt des Schreibens selbst. Die Produktion von Theorie, von Literatur, aber auch von nützlichen journalistischen Texten ist kein Hobby, sondern Arbeit, die nicht nur ernstgenommen, sondern auch gelernt sein will. Ein anspruchsvoller Artikel, ein Roman, eine politische Analyse erfordern Zeit, Anstrengung, Konzentration. Da bleibt nicht viel Zeit und Kraft für anderes.

Umgekehrt braucht auch der bewaffnete Kampf die „ganze Frau“, den „ganzen Mann“. Will der „Mensch des Wortes“ ein „Mensch der Tat“ werden, muß er meist die Produktion von Worten aufgeben, zumindest als „Hauptberuf“. Nur die glücklichsten Umstände erlauben eine Verbindung von beidem.

Doch das sind nicht die einzigen Gründe für diese klassisch kapitalistische Arbeitsteilung auch unter Gegner(inne)n des Kapitalismus. Dieser Widerspruch entsteht aus dem Antagonismus der Klassen und der Geschlechter. Mit wenigen Ausnahmen steht auch heute der Beruf des Schreibens fast ausschließlich Menschen bürgerlicher Herkunft offen - oder denen, die durch ihre Ausbildung in das Bürgertum aufgestiegen sind. Und von Frauen wird schon qua Geschlecht nicht ernsthafte Schreib- und Denkarbeit erwartet. Sie dürfen in Extremsituationen zwar zur Waffe, kaum aber zum Strategiepapier greifen. Wer es jedoch geschafft hat, das Denken und Schreiben zu seinem Beruf zu machen, sich also auch davon ernähren kann, ist schon notgedrungen korrumpiert. (...) Nun hat die Geschichte der Befreiungskämpfe immer wieder bewiesen, daß ein „Mensch des Wortes“ (wenn er seine Worte ernst meint) seinen Beruf, seine Freiheit, ja sein Leben auch verlieren kann, ohne daß er sich dem bewaffneten Kampf anschließt. Zu allen Zeiten und in allen Ländern der Erde gibt es Menschen, die im Gefängnis sitzen, gefoltert und ermordet werden, nur weil sie - mit Worten - den jeweils Herrschenden widersprochen haben. Sie haben sich mit ihren Waffen geschlagen und sie wurden und werden mit entsprechender Brutalität dafür bestraft, als hätten sie statt der Feder eine Maschinenpistole in Händen gehalten.

Dennoch. Diejenigen, die Herrschaft bewaffnet bekämpfen, haben selten Zeit und Gelegenheit, ihre Absichten und Ziele jenseits von Diskussionspapieren und „Kommandoerklärungen“ den Menschen zu erläutern. Sie müssen sich auf die „Propaganda der Tat“ verlassen und darauf hoffen, daß die Menschen ihre Aktionen verstehen. Und gegen die unmittelbare Aussage ihrer Aktionen steht ein Heer von „Vermittlern“, von Kommentatoren, Erklärern, die es sich zur Aufgabe machen, die Absichten der Kämpfenden zu verfälschen, zu diffamieren, in den Schmutz zu ziehen. (...)

Die ideale Revolutionärin, den idealen Revolutionär gibt es nicht, kann es nicht geben, weil sie auch Menschen sind. Menschen allerdings mit dem Anspruch, nicht bei einmal Erreichtem stehen zu bleiben, sondern sich - auch mit Widersprüchen und Schmerzen - ständig weiterzuentwickeln. Ihr Ziel ist - in einer befreiten Gesellschaft - der befreite Mensch, dessen Befreiungsprozeß bereits im Kampf um die Befreiung beginnen muß. Dazu gehört wesentlich die Aufhebung der kapitalistischen und sexistischen Arbeitsteilung und damit auch der Arbeitsteilung zwischen Wort und Tat.

Die Widersprüche, die die Frauen und Männer, die der herrschenden Gesellschaft den Kampf angesagt haben, bewältigen müssen, sind zäh und zahlreich. Daneben auch noch diesen einen zwischen Feder und Gewehr zu lösen, können nur sie von sich selbst verlangen. Diejenigen, die sich bei der Wahl der Waffen ausschließlich für die Waffe der Kritik entscheiden, haben nicht das Recht, Forderungen einseitig an die anderen zu stellen. Ihre Aufgabe ist es, ihre eigene Rolle ständig zu hinterfragen, ihre eigenen Widersprüche zumindest zu problematisieren und ihre selbst gewählte Profession ernstzunehmen. Es ist kein Verdienst, eine „Frau des Wortes“ zu sein. Es ist ein Privileg und manchmal nur das Zurückschrecken vor einer konsequenten Haltung. Auf jeden Fall ist es eine schwierige Aufgabe, die nie vollständig zur eigenen Zufriedenheit zu lösen ist. Und manchmal wird es zum Freifahrschein in die nächste Gefängniszelle, was nicht unbedingt ein Verdienst ist, sondern ein Gradmesser für die Repressivität einer Gesellschaft.

Ingrid StroblDas Buch erscheint im Kore Verlag Freiburg