Michelangeli über allen

■ Star-Pianist kam mit Sponsoren-Geld und eigenwilliger Mozart-Interpretation

Er ist wirklich gekommen und hat gespielt, auch wenn die Skeptiker unkten, Arturo Benedetti-Michelangeli würde wie üblich im letzten Moment noch absagen: Das gehört inzwischen unverzichtbar zu seinen Markenzeichen. Die Mikrophone auf der Bühne nehmen nicht für Radio Bremen auf, sondern für einen Live-Mitschnitt der Deutschen Grammophon. Der Kultwert des Ereignisses ist auch daran ablesbar. Selten genug ist aus der klassischen Zunft ein echter Weltstar von Rang des Micheangeli in Bremen zu hören. Auch bei gesalzenen Eintrittspreisen genügt die Abendkasse nicht mehr, um solche Musiker hierher zu locken. Der Verein „Kulturstadt Bremen“, Organisator des Abends, will dem mit Sponsorengeldern abhelfen. Das Micheangeli-Konzert war ein Pilotprojekt, dem jährlich drei bis vier Veranstaltungen dieser Größenordnung folgen sollen. Leider werden die Eintrittspreise dadurch auch noch nicht niedriger - diesmal bis zu 75.-DM - und es steht zu befürchten, daß sparwütige Politiker solche Initiativen als willkommenen Ersatz für eine teure Kulturpolitik und - förderung mißbrauchen.

Unorthodox schon das Auftreten des Helden: viel Aufmerksamkeit und Freundlichkeit für die MusikerInnen im Orchester, nahezu völliges Ignorieren des Publikums. An Ende allerdings,

in jener typisch bremischen Mischung aus Jubel, Fußgetrampel und hektischem Aufbruch - man könnte ja sonst unnötig lange auf den Mantel warten - soll der Meister kurz gelächelt haben. Ansonsten ließ er es distanziert und mit unbewegter Miene geschehen.

In Michelangelis Spiel war eine Menge los. Differenziert und überraschend interpretierte er Mozarts Klavierkonzerte (in C-dur, KV 503, und in d-moll, KV 466) oft gegen den Strich. Wo man Lyrisches erwartete, griff er forsch zu; Stellen, die man rasant und kühn kennt, nahm er langsam und penibel - so den Anfang des letzten Satzes im d-moll -Konzert. Zäsuren, die zum seligen Verweilen einladen, überspielte er in irritierender Beschleunigung. Solchem subjektiven Zugriff auf die Musik hielt das Zusammenspiel mit dem Sinfonieorchester des NDR nicht stand. Nach romantischem Musizierideal hätte es die Tempoveränderungen des Solisten mitzuvollziehen, das NDR-Orchester blieb aber meist unbeweglich, während Michelangeli vorn in aller Freiheit agierte. Mehrmals irritierte er die MusikerInnen mit unerwarteten Verzögerungen oder umgekehrt mit pünktlichen Schlägen, die das Orchester nach der Zeit erwartete. Solche gelungenen Überraschungen entsprechen sicher nicht dem gängigen Ideal, aber mir haben

sie riesigen Spaß gemacht.

Die dynamischen Möglichkeiten seines Steinway-Flügels - er hatte natürlich seinen eigenen dabei - nutzte Micheangeli voll aus. Meist ohne den Weichzeichner des Pedals zu benutzen, stellte er die Figuren prägnant und mit offenem, brilliantem Ton in den Raum. Solche Kraft des Klaviers geht allerdings zwangsläufig auf Kosten eines gleichberechtigten Dialogs mit dem Orchester. Immer, wenn statt der historischen hellen und leisen Hammerklaviere ein dicker moderner Flügel verwendet wird, gibt es solche Probleme mit dem Gleichgewicht. Verschärft aber bei Micheangeli an diesem Abend: Auch das schönste solistische Thema in der Flöte oder der ausgezeichneten Oboe hat keine Chance, sich gegen die dominierende Klavierbegleitung durchzusetzen.

Die stärksten Momente waren so jene, in denen Micheangeli unbehindert durch den Zwang, mit dem Orchester zusammenzubleiben, seine radikal subjektive Gestaltung herausarbeiten konnte, vor allem in Beethovens so völlig unmozartischer Kadenz zum D-moll Konzert. Schroff werden Elemente des vergangenen Satzes gegeneinandergestellt, jeden Augenblick wechselte die Beleuchtung, schlug zärtliches jäh in Bedrohung um, wurde Ruhendes zu motorisch Vorwärtstreibendem.

Axel Weidenfeld