„Wir haben da was Sozialkritisches für Sie“

■ Nachrichten aus Bremen: Von denen im Hochglanz und denen im Dunkeln / Familienleben in der „Rumpelkammer“ gestört

Eine Frau, ein Mann und ein kleines Baby stehen im Flur. Sie sehen nach Armut aus. Ein Bremer Hochglanzmagazin, das in seiner Juni-Nummer über neue Hoteltresore und Zahnarzt -Konferenzsäle berichtet, hatte sie zum taz-Büro weitergeschickt und bereits telefonisch angekündigt: „Wir haben da was Sozialkritisches für Sie“. Hier also, liebe LeserInnen, „was Sozialkritisches für Sie“:

Eine kleine, vollgestopfte, sperrmüll-möblierte 2-Zi -Wohnung in der Neustadt. Hier wohnt Steffen Viertel und hier leben seine zwei spitzgroßen Hunde: „Die Hunde sind für mich lebenswichtig, genau wie für sie das Kind.“ Er lebt von Sozialhilfe und geht seit 13 Jahren, „um das Selbstbewußtsein zu erhalten“, auf den Flohmarkt. Seine Ware ist mangels Abstellkeller im ersten Zimmer gestapelt: Schuhe, Jacken, Kisten und Kasten, außerdem ein hellblau -plüschiges Kinderpferd und ein Wäschetrockner, bei dem noch der Kondensator repariert werden muß. Bis Januar, bis das Jugendamt vorbei kam, lebten in den zwei Zimmern auch noch Ilse Ellis und das neugeborene Kind.

Ilse Ellis ist überzeugt, daß eine Krankenschwester in der St.-Jürgen-Straße das Jugendamt eingeschaltet hat. Denn Ilse Ellis hatte sich nicht auf die Geburt vorbereitet, keinen Kinderwagen

besorgt. „So können Sie das Kind nicht mit nach Hause nehmen“, hatte die Schwester gerügt. Und auch als sie eine Baby-Tragetasche und die nötigen Kissen eingekauft hatte, habe diese Schwester sie noch immer nicht gehen lassen wollen.

„Siffbude, Saustall, Rumpelkammer“ hätten die beiden Mitarbeiter des Jugendamtes die Wohnung geschimpft und seien am nächsten Tag gleich zu vieren wiedergekommen. „Die Hunde waren nervös und total am Rumschnuppern. Die Kleine ist dadurch ganz verrückt geworden. Wir waren total fertig.“ Die Mitarbeiter des Jugendamtes hätten gesagt, daß Kind müsse noch am gleichen Tag hier raus, sonst würde es rausgenommen. Ilse Ellis zog deshalb sofort mit der kleinen Tochter zu ihrer Mutter, dann auf Geheiß des Jugendamtes vorübergehend in ein Heim der Inneren Mission. Jetzt lebt sie in einem christlichen Mutter-Kind-Heim, in einer abgeschlossenen 2 -Zimmer-Wohnung. Falls sie bei Steffen Viertel in der Neustadt übernachten will, muß sie das vorher anmelden. Als sie einmal ohne Abmeldung drei Nächte in der Neustadt blieb, stand Herr Böttcher vom Jugendamt vor der Tür. Drei Jahre solle sie in dem christlichen Wohnheim bleiben, hätte das Jugendamt bestimmt.

Eine Genehmigung, mit dem

Kind allein oder mit Steffen Viertel zu wohnen, bekomme sie nicht: „Ich hab früher viel Scheiß gebaut, aber jetzt nicht mehr, wo sie da ist“. Sie schmust mit dem Kind und gibt ihm die Flasche. In der engen Neustädter Wohnung fungiert der Kinderwagen gleich

zeitig als Kinderbett und als Wickelkommode. Ilse Ellis geht es nicht gut. Sie ist bei einem „Nervenarzt“ in Behandlung. Sie sagt: „Ich war gestern soweit, daß ich das Kind abgeben wollte“. Steffen Viertel protestiert: „Das Kind bleibt da, genau wie die Hunde

dableiben und alles.“

Seitdem die Frau ausgezogen ist, übernimmt das Sozialamt nur noch die Mietkosten für eines von Steffen Viertels Zimmern. Er hat Mietschulden gemacht und sagt, zum 1. Juli werde er auf die Straße gesetzt. Zwar wolle das Sozial

amt sogar die Maklergebühren übernehmen, doch eine neue Wohnung habe er als Sozialhilfeempfänger und Hundehalter nicht gefunden. Er war bereits in allen möglichen Amtszimmern bis hinauf zum Vorzimmer vom Sozialsenator. Und bis hin zu besagter Hochglanz-Redaktion. Sie sagt: „Der Druck wird so stark: Der Druck vom Jugendamt, der Druck von ihm, weil er keine Wohnung findet.“

Die von den beiden als „völlig zu“ beschriebenden Jugendamts-Mitarbeiter haben ihr Amtszimmer in der Friedrich -Ebert-Straße. „Herr Viertel ist beim Sozialamt seit Jahren anhängig“, sagt Herr Böttcher mit einem Lächeln. „Er hat einen Sammeltick. Er lebt in einem Wahnsystem. - Wir haben mit der Kindesmutter vereinbart, daß sie da nicht bleiben kann. Sie braucht Betreuung. Sie hat keine Struktur.“ Sein Kollege Eßmann vom Sozialamt erzählt, daß Herr Viertel öfters käme und gegen Frau Ellis üble Anschuldigungen erhebe. Und das dies alles eine lange Geschichte sei, nicht in einer halben Stunde erzählt.

Doch Schluß mit der „Sozialkritik“. Die ist nie so glatt, wie ein Hochglanzmagazin denkt.

B.D.