Kirchentags-News

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Welch christlicher Geist über der Stadt schwebt, merken derzeit die Nichtseßhaften. Während die Kirchengäste nach langen, anstrengenden Kirchentagsbesuchen abends erschöpft in die Betten sinken, bleiben die Obdachlosen laut Diakonischem Werk auf der Straße stehen. Denn die Schlafplätze in Pensionen und den Gemeinden, die ansonsten vorrangig sozial Schwächsten zur Verfügung stehen, sind nun von den auswärtigen Besuchern belegt. Die Mitarbeiter des Diakonischen Werks rechnen besonders an diesem Wochenende damit, daß die Obdachlosen auf der Strecke bleiben.

Mit dem katholischen Geist beschäftigte sich gestern der Präses der Synode der EKD Jürgen Schmude. In dem Gespräch mit seinem Kollegen von der Konkurrenz, dem Vizepräsidenten im Zentralkomitee der Deutschen Katholiken Werner Remmers, konnte sich der Protestant nicht verkneifen, auf die sattsam bekannten Probleme des Vatikans mit dem Zölibat hinzuweisen. Remmers führte dagegen „gute theologische Gründe“ für einen Verzicht auf gute (!?, d. Red.) Möglichkeiten im Leben an und verwies auf das Mönchtum in der abendländischen Tradition.

Mittlerweile hat die Zahl der Dauerteilnehmer am Kirchentag eine neue Rekordmarke erreicht. 153.696 Dauergäste haben sich inzwischen laut Organisationsleiter Steege registrieren lassen. Außerdem seien 2.675 Tagesbesucher gekommen.

Den Aufstieg probten rund 40 neugierige Kirchentagsbesucher. Sie kletterten gestern auf die Mauer am Brandenburger Tor. Ein Beamter von der zuständigen Polizeiwache sprach von Besucherströmen am Reichstag. Viele der Kirchentagsgäste gingen im Grenzstreifen vor der Mauer spazieren, ohne zu wissen, daß dieses Gebiet bereits zu Ost -Berlin gehört.

Wer Flucht vor dem Trubel sucht, kann sich in die „Halle der Stille“ mit „Oasen der Ruhe“ begeben. Dort findet sich auch eine „Klagemauer“, an der jeder einen Zettel heften kann, um seine persönlichen Fürbitten allen zugänglich zu machen. „Gott, es ist voll in der U-Bahn“, war gestern dort zu lesen, „sei Du Halt und Zuflucht allen, die sich von den vielen Menschen bedrängt fühlen und die irritiert sind, weil sie die Freundin oder den Freund nicht finden, die sie im Gewühl verloren haben.“ Passend dazu das Motto einer Ausstellung der Evangelischen Medienzentrale: „Weltstadt Berlin - wegen Überfüllung geschlossen“.

Auch zu aktuellen weltpolitischen Vorgängen wird an der Klagemauer Stellung genommen. „China, China, China - Herr erbarme Dich!“ geht ein Hilferuf an den Himmel.

Zivilcourage im Diesseits fordert die Gesellschaft für bedrohte Völker in ihrer Stellungnahme zum Kirchentag. Sie moniert, daß die „schwerwiegendsten Menschenrechtsverletzungen unserer Tage auch in Berlin auf Großveranstaltungen tabu“ blieben.

Über autofreien Trubel auf dem Kudamm freute sich der Landesverband des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND). Er fordert daher den Senat auf, im Bereich Tauentzienstraße, Kurfürstendamm und Bahnhof Zoologischer Garten eine Fußgängerzone einzurichten. Zu dem Zweck wurde bereits eine Unterschriftenaktion gestartet.