Im Namen der Kirche ab in den Knast

■ Christliche Knackis und knackige Christen: 24 Besucher aus Wuppertal schlafen im Jugendgefängnis / Zwei Pfarrer organisierten die Aktion „Brückenschlag“ zwischen „Drinnen und Draußen“ / „Handverlesene“ Häftlinge haben zwischenzeitlich Sonderurlaub

Drei große, weiße Türen öffnen sich fast lautlos auf etwas geheimnisvolle Weise, dann betreten die Kirchentagsbesucher aus Wuppertal einen freundlichen Raum mit großen Hartlaubpflanzen und einem schönen Blick auf grünen Rasen und prächtige Bäume. Doch die Idylle täuscht über den Ort hinweg: Es handelt sich um den Besuchersaal der Jugendstrafanstalt Plötzensee. Die Wuppertaler Gruppe trifft sich hier in aller Frühe mit einigen Häftlingen zum gemeinsamen Frühstück.

24 Kirchentagsteilnehmer aus dem Bergischen Land haben gerade die erste Nacht hinter Mauern und Gittern verbracht. In der Turnhalle der Anstalt schliefen sie auf Anstaltsdecken, manche packten auch den mitgebrachten Schlafsack aus.

Jugendtraum

des Pfarrers

Pfarrer Jochen Schütt aus der Wuppertaler Gemeinde Hammerstein, mit dem Berliner Anstaltsseelsorger Manfred Lösch Initiator dieser Aktion „Brückenschlag“, erfüllt sich mit dieser bisher einmaligen Begegnung auf einem Kirchentag einen alten Jugendtraum. Eigentlich wollte er nämlich Gefängnispfarrer werden. Schon seit fünf Jahren organisiert er in Wuppertal mit der Gruppe „Freiraum“ Treffen zwischen Gemeindemitgliedern und Gefangenen.

Die „handverlesenen“ (so ein Betroffener) Insassen haben für die Dauer des Kirchentages Sonderurlaub. Nico und Eddy gehören dazu. „Sind gut drauf, die beiden Pfarrer“, erzählen sie. Die beiden Insassen absolvieren derzeit eine Lehre hinter Mauern. Eddy wird sich am 17.Juni sogar taufen lassen, später soll die Konfirmation folgen.

Beim Eröffnungsgottesdienst in der Deutschlandhalle wunderten sie sich vor allem über die Stille dort.

„Spitzenmäßig“, meint einer. Mit den Wuppertalern werfen sie sich nun in das Kirchentagsgewühl. Eine Besucherin möchte gern auch einmal „in der City bummeln gehen“, ein Gefangener will sich an einem Pilgergang beteiligen. Gespannt sind alle auf die Abschlußveranstaltung im Olympiastadion.

„Schick gestylter“

Knast

Ute Brockmann, selbst Leiterin in der Justizvollzugsanstalt Wuppertal und Mitarbeiterin bei der Aktion „Freiraum“, wundert sich über den „schick gestylten“ Neubau in Plötzensee. „Wie kommt da der Frust heraus?“ fragt sie sich. Heute treffen sich 150 Insassen und 150 Kirchentagsbesucher zu einem „Feierabendmahl“ hinter Gefängnismauern. Ob sich da etwas von der Spannung zeigt?

Die meisten der Wuppertaler sind unter 30 Jahre alt. Nach der ersten Nacht im „Knast“ wirken viele noch verunsichert. Das gegenseitige Kennenlernen verläuft etwas holprig. Auch in den Kirchengemeinden gibt es Vorurteile und Vorbehalte gegenüber den „Knackis“. Ute Brockmann: „Viele sagen: Es ist ja gut, daß ihr das macht. Aber gibt es nicht wichtigere Dinge?“

Manfred Lösch möchte gern mehr Kontakte „zwischen Drinnen und Draußen“ organisieren. Der Anstaltsgeistliche hat „die Hoffnung, daß sowas Schule macht und nicht nur beim Kirchentag läuft“. Pfarrer Schütt meint, daß solche Begegnungen nichts Außergewöhnliches darstellen sollten: „Das war schon immer im christlichen Glauben so: Man muß sich um die Menschen kümmern.“

Einige Dutzend weitere Kirchentagsgäste schnuppern im Stadtteil Lichterfelde Gefängnisluft. Weil die Quartiere knapp zu werden drohten, stellte die Justiz die seit einem Jahr leerstehende frühere Außenstelle im offenen Vollzug für Frauen zur Verfügung. Die Berlin-Besucher können dort erleben, wie es sich in ehemaligen Originalzellen schläft.

Paul F. Duve