: Die Wirklichkeit des Herrn Mertes
■ Verfehlungen eines rechten „Informationsdienstleisters“
Daß man in Bayern die Dinge häufig anders sieht als anderswo, ist hinlänglich bekannt. Nun hat uns Heinz Klaus Mertes, Leiter der Redaktion Aktuelles und Report beim bayrischen Rundfunk noch einmal unmißverständlich klar gemacht, wie seine Konstruktion der Wirklichkeit aussieht. Beim Künstlergespräch, zu dem Peter Glotz ins Münchner Hinterhoftheater geladen hatte, bemerkte der BR -Nachrichtenchef ganz kritisch, das Fernsehen spiegele die Wirklichkeit nur vor, anstatt sie wirklich wiederzugeben. Daß er mit dieser scheinbaren Wirklichkeit mit Vorliebe spielt, hat er dabei nicht erwähnt. Er fühle sich lediglich als „Informationsdienstleister“ und dabei der Pflege der positiven Nachricht verpflichtet. Sich und seinen Kollegen vom BR empfahl er: „Wir müssen den Ruch des Authentischen verlieren.“ Das sollte er am besten jedesmal am Anfang seiner Reportsendungen sagen.
Wie aus negativen „positive Nachrichten“ gemacht werden, hatte er unlängst bewiesen. Frei nach dem Motto „hier fälscht der Chef selbst“ hatte er Ende März seiner Nachrichtenredaktion die Anweisung erteilt, eine vorgesehene Meldung über die seinerzeit vom JU-Vorsitzenden Gerd Müller erhobene Forderung nach Todesstrafe für Rauschgifthändler zu unterlassen. Zum Thema Todesstrafe erfuhren die Zuschauer des Rundfunk-Telegrammes nur, daß Müller „härtere Strafen“ für Dealer verlangt habe. Bayerns SPD schrie auf und bezichtigte Martes der Nachrichtenunterdrückung. Nach einem erfolglosen Rechtsstreit gegen SPD-Landtagssprecher Julian Gyger darf man Mertes nun aktenkundig „Nachrichtenfälscher“ nennen.
Mertes sieht das natürlich anders. Er habe so eine brisante Forderung nicht einfach in die Welt hineinlassen wollen. Notwendig sei vielmehr die „Einordnung in einen richtigen Zusammenhang“. „Wenn morgen die feministische Senatorin in Berlin fordern würde 'Schwänze ab‘, dann würde ich das auch nicht so laufen lassen“, erklärt er forsch.
Wenn es aber um die Diskreditierung der Hafenstraßenbewohner geht, da ist Mertes nicht si zimperlich. Tendenziöse Nachrichtenauswahl ist das Markenzeichen des Report-Chefs. Linke Politik oder RAF -Hungerstreik sorgen für richtige Hetze, während die rechte Klientel, die Wirtschaft oder Parteifreunde vom Schmutz reingehalten werden(siehe taz vom 11.5.89).
Unlängst war die neugegründete Industriegewerkschaft (IG) Medien Gegenstand der Mertesschen Stimmungsmache. In einer Report-Sendung hatte er sie als „Neue Einheitsfront“ bezeichnet und die Gründung als „größte Gleichschaltungsaktion in der deutschen Mediengeschichte seit fünfeinhalb Jahrzehnten“. Das war dann selbst dem bayrischen Fernsehausschuß zuviel. Nach dem Fall von Nachrichtenunterdrückung sprach man jetzt angesichts der Anspielung auf die gewaltsame Auflösung der Gewerkschaften 1933 von „Geschichtsfälschung“. Auch Fernsehdirektor Wolf Feller fand die Formulierung seines Untergebenen „unglücklich“. Und selbst stramme CSU-Genossen wie der Landtagsabgeordnete Paul Wilhelm äußerten ihr Mißfallen angesichts solcher „Totschlagvokabeln“.
Am 6.Juli nun soll Mertes gemeinsam mit Chefredakteur Heinz Burghart vor dem Fernsehausschuß zu den betreffenden Report-Sendungen Stellung nehmen.
Während sich die Mitglieder des Fernsehausschusses bei der Beurteilung der kritisierten Mertes-Kommentare einig waren, gehen die Meinungen hinsichtlich der Konsequenzen auseinander. Nach Auffassung der SPD wie auch der Gewerkschaftsvertreter ist Mertes‘ gegenwärtige Funktion ein paar Schuhnummern zu groß für ihn. Doch die CSU hält trotz der „Entgleisungen“ noch an ihrem Report-Chef fest.
Ute Thon
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen