Solidarnosc: Tolerieren statt Koalieren

Solidarnosc will nicht in die Regierung / Koalition ausgeschlossen, solange Verfassungsartikel über führende Rolle der Partei nicht beseitigt ist / Bürgerkomitees werden beibehalten / Solidarnosc-Sprecher Onyszkiewicz: Zusammenarbeit im Parlament möglich  ■  Aus Warschau Klaus Bachmann

Die polnische Nationale Wahlkommission hat erste offizielle Ergebnisse der Wahlen zum Parlament und Senat vom Sonntag bekanntgegeben. Demnach wurden von 35 hohen Funktionären der kommunistischen Koalition nur zwei gewählt. Zu den nicht gewählten kommunistischen Kandidaten gehört Ministerpräsident Rakowski.

„In einer Situation, in der das stalinistische System der Nomenklatura und der Verfassungsartikel über die führende Rolle der Partei weiterhin existiert, sehe ich für die Opposition keine Möglichkeit, sich dem zu unterwerfen.“ Mit diesen Worten schloß am Mittwoch Bronislaw Geremek, einer der führenden Köpfe des Bürgerkomitees Solidarnosc in Warschau, eine Regierungsbeteiligung vorerst aus. Exregierungssprecher Jerzy Urban hatte zuvor vorgeschlagen, angesichts des Wahlergebnisses solle doch einfach Solidarnosc die Regierung bilden. Geremek wertete das als „publizistischen, aber kaum politisch zu wertenden Vorschlag“. Bevor Solidarnosc in eine Regierung eintreten könne, müßten zunächst diese beiden Hindernisse beseitigt werden. „Solche Veränderungen sind normalerweise die Folgen von Bürgerkrieg oder Revolution“, meinte Geremek, „doch wollen wir gerade das den Polen ersparen. Wir haben uns für evolutionäre Veränderungen entschieden, uns also damit abgefunden, daß es einige Zeit brauchen wird, bis wir von der führenden Rolle der Partei und der Nomenklatura Abschied nehmen können. Uns geht es um Systemveränderungen. Ohne die wäre Solidarnosc in einer Regierung nur Dekoration.“

Auf die Frage nach der näheren Zukunft erklärte Geremek, die Bürgerkomitees im ganzen Land hätten sich bewährt und sollten beibehalten werden, um den künftigen Abgeordneten als Rückhalt zu dienen: „Freie und demokratische Wahlen zur kommunalen Selbstverwaltung haben absoluten Vorrang.“ Die Kommunalwahlen von 1987 waren von der Opposition wegen ihrer zahlreichen Beschränkungen für unabhängige Kandidaten seinerzeit als ein Schritt zurück kritisiert worden. „Parteien werden erst in vier Jahren bei den Sejm-Wahlen gebraucht. Für den Ausbau der kommunalen Selbstverwaltung und der Arbeiterselbstverwaltung sind sie nicht notwendig. Wie ich überhaupt finde, daß wir momentan dabei sind, in Polen etwas zu versuchen, bei dem eine Orientierung an westlichen Vorbildern wenig Sinn hat.“

Wie vor ihm bereits andere Mitglieder des Bürgerkomitees äußerte Geremek die volle Bereitschaft, die Vereinbarungen des runden Tisches über die Mandatsverteilung im Sejm einzuhalten. Das Verhältnis von 65 zu 35 Prozent für die Regierungskoalition ist zur Zeit in Frage gestellt, da bis auf zwei Kandidaten nach den bisherigen Hochrechnungen alle Kandidaten der Landesliste bei den Wahlen durchgefallen sind. Deren Mandate bleiben nach der Wahlordnung unbesetzt. Zugleich schreibt die Verfassung jedoch vor, daß der Sejm aus 460 Abgeordneten besteht, also 33 mehr, als dem Wahlergebnis entspricht. Geremek: „Wir sind bereit, das Abkommen einzuhalten, aber es liegt nicht bei uns, die rechtliche Möglichkeit dazu zu finden.“

Solidarnosc-Sprecher Janusz Onyszkiewicz erklärte inzwischen, es bestehe kein Widerspruch zwischen den Reformbekenntnissen des Komitees und der Weigerung, in die Regierung einzutreten. „Wir haben an den Wahlen als Opposition teilgenommen, und es wäre ein Bruch früherer Verpflichtungen, würden wir das jetzt einfach beiseite schieben.“ Es sei jedoch sehr wohl möglich, die Regierung aus der Opposition heraus zu unterstützen. Es gebe zahlreiche Punkte, in denen genügend Übereinstimmung für ein solches Bündnis herrsche.