Mauerabbau durch Wind und Regen

■ Anläßlich des deutsch-deutschen Dialogs wurde über den sanften Abbau der Mauer räsonniert / „Die Gewalt geht vom Volke aus“

Gegen die Wiederbelebung „alter Wiedervereinigungsträume“, aber für die politische Überwindung der Mauer zwischen beiden deutschen Staaten haben TeilnehmerInnen des „Deutsch -Deutschen Dialogs“ auf dem Kirchentag am Donnerstagabend plädiert. Heinrich Albertz, Pastor und ehemaliger Regierender Bürgermeister von Berlin, sprach vor 4.000 ZuhörerInnen die Hoffung aus, daß „Mauern bröckeln“, die vom Westen „politisch und psychologisch mitgebaut“ worden seien. Er habe keine Träume mehr von der Wiedervereinigung, wie sie das Grundgesetz vorsehe, sondern von dem „natürlichen Verfall durch Wind und Regen“.

Das Grundgesetz von 1949 war nach Albertz Worten das „große Angebot der Freiheit“. Die Bundesrepublik sei jedoch mit Aufbau und nicht mit Verwirklichung“ der Verfassung beschäftigt gewesen. „Politische Besinnung“ und ein „wirklicher Neuanfang“ hätten nicht stattgefunden. Die „Stunde Null“ sei eine „Legende“. Albertz sprach die Hoffnung aus, daß die Friedens- und Umweltbewegung heute umsetzt, was im Grundgesetz stehe: Die Gewalt gehe vom Volke aus.

Der Ostberliner Bischof Gottfried Forck erklärte: „Grundproblem in der Gesellschaft“ sei es, daß die DDR -Führung die Bürger auch nach 40 Jahren noch wie Kinder behandele und Kritik sowie Widerspruch, auch von kirchlichen Gruppen, als „politische Opposition“ mißverstehe. Dem theoretischen Anspruch der SED auf politischer Mitwirkung aller Bürger stehe der Eindruck gegenüber, daß „alles von oben entschieden“ werde.

Vera Wollenberger, Mitbegründerin der „Kirche von unten“ in der DDR, bezeichnete als „wichtigste Voraussetzung für eine Vereinigung“ den „gegenseitigen Respekt“. Im krassen Gegensatz dazu stehe, daß der Westen die DDR für Devisen als „Giftmüllkippe im Osten“ mißbrauche. Politische Veränderungen innerhalb der DDR und zwischen den beiden deutschen Staaten müßten einhergehen mit dem grundlegenden „ökologischen Umbau“.

Friedrich Schorlemer, Theologiedozent in Wittenberg, nannte „Mauer und Grenze“ eine „fortlaufende Last und schwärende Wunde“. Gleichzeitig wandte er sich gegen „Sofort-Ariß -Rhetorik“. Die Mauer sollte „mit politischen Schritten durchlässiger und niedriger“ gemacht werden. Abrüstung sei „Teil des Mauerabbaus“.

epd/Matthias Hartmann