„DIE PREDIGERIN ALS KOPIERGERÄT“

■ Die aktuelle Kirchenkritik: Dorothee Sölle im Eröffnungsgottesdienst

Das Wort Gottes, welches als lebendiges Wort des lebendigen Gottes ausgegeben wird, lebt über die Jahrhunderte hinweg einzig durch die stete Wiederholung seiner selbst. Wenn sich im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit die Macht der Bibel in ihrer Auflagenstärke erweist und sie im edlen Wettstreit mit Mao-Bibel und Kommunistischem Manifest um den unvergänglichen Kranz des Weltbestsellers ihre Identität als Groschenroman erwirbt, dann verhärtet sich auch die noch so agile PredigerIn zum bloßen Kopiergerät. Als solch streng codiertes Textverarbeitungsprogramm trat beispielsweise Dorothee Sölle im Eröffnungsgottesdienst des Kirchentages in der Moabiter Reformationskirche auf: Was sie gesagt hat, eben das sagte sie bereits zuvor, und eben das sagt sie hernach wieder, auch sie kommt, wie einst der Prediger Salomo, mit der Mühe des Redens zu keinem Ende, einem guten schon gar nicht. Die vorgeblich frohe Botschaft versteinert so zum trostlosen Ritual, die Wiederkunft, die einst angedroht ward, findet statt als unablässige Wiederkehr des immergleichen Wortbreis, und solange der Leibhaftige selbst nicht in Erscheinung tritt, unterliegt die Kirche als Zentralbüro für Heilsvermittlung dem Zwang, jene Leerstelle mit pausenlos gleichen Pausenfüllern zu stopfen - ein notorischer Wiederholungszwang.

Der didaktische Einstieg, der den unter Altersschwäche leidenden Predigtaufguß mit der Aura des Authentischen versehen soll, lag angesichts der Kirchentagslosung auf der Hand, allerdings nicht auf der Gottes. Unsere Zeit wiederum läge nicht in Gottes Augen, verkündete Sölle; sie liegt auch nicht in dessen Ohren, in denen immer noch das gellt, was der Prophet Amos „das Geplärr eurer Lieder“ nannte und ein unanhörliches Harfenspiel, unsere Zeit, sie läge vielmehr in besagten Händen. Sölle nun in klassischer Konditionierung weiter: „Was sind Gottes Hände? Das wißt ihr doch alle.“ Aber das Ohr hört sich nun einmal nicht satt daran, und weil Sölle dies weiß, spult sie als fleischgewordene vollautomatische Wortverkündigungsmaschine das komplette Programm erneut ab: „Sie brechen den Hungrigen das Brot, sie geben den Arbeitslosen Arbeit, und ganz langsam schmieden sie aus Schwertern Pflugscharen.“

-Gottes Hände höchstselbst sollen es sein, die den Hungrigen das Brot brechen, gegen welche ebenso kühne wie unsinnige Behauptung eine Erinnerung an Adorno genügen mag: Ein solches Bild „erzeugt aus der Erfahrung des Mangels in einem Zustand ungewisser und unzureichender materieller Produktion, läßt sich nicht einfach übertragen auf die Welt der Brotfabriken und der Überproduktion, in der die Hungersnöte Naturkatastrophen der Gesellschaft sind und eben keine der Natur“.

-Gottes Hände sollen es sein, die den Arbeitslosen Arbeit geben. Abgesehen von der ungehemmten Geschmacklosigkeit, Arbeitgeber als menschgewordene Hände des Höchsten auszugeben (letztlich also etwa auch Adolf Hitler als den göttlichen Töpfer zu inthronisieren, der den menschlichen Ton formte, indem er ihn Autobahnen bauen ließ); abgesehen also von diesem ja keineswegs neuen und demnach ebenfalls dem Wiederholungszwang unterliegenden gemeingefährlichen Schwachsinn: Wer immer noch glaubt, Arbeit adele den Menschen, mache ihn möglicherweise gar frei, der endet im besten Fall bei denjenigen reaktionären Ideologen, welche das Ideal der Vollbeschäftigung propagieren in einer Zeit, da sich menschliche Arbeit zunehmend verüberflüssigt. Der hat zudem noch immer nicht eine Grundwahrheit des historisch -dialektischen Materialismus begriffen, den zu kennen Sölle sich ja rühmt: „Das Reich der Freiheit“, schrieb Marx im Kapital, „beginnt in der Tat erst da, wo das Arbeiten, das durch Not und äußere Zweckmäßigkeit bestimmt ist, aufhört“.

-Gottes Hände schließlich schmieden Schwerter zu Pflugscharen, wenn auch „ganz langsam“. In solchem adrett vorgetragenen Unfug haust die frohe Botschaft der Handlanger Gottes, die seit Anbeginn der Kirche durch die Heilsgeschichte rauschen: sie befinden sich auf eben dem Weg, den Gott selbst ihnen weist; ihr emsiges Agieren ist ein gleichschreitendes Marschieren im Takt der göttlichen Trommel; Wir-Wir-Wir sind die Berufenen des Höchsten, die als rechte Hand des Allmächtigen die tumbe Welt ihrem Heil zuführen. Welch ein Loblied auf das Bestehende! Und welch eine selbstgefällige Verkennung eigener Ohnmacht, denn die sich an Gottes Händchen haltenden Menschenketten waren es gerade nicht, die auch nur eine einzige Rakete aus der Welt geschafft hätten, sondern die weihelose, aber vernünftige Macht eines ausgewiesen atheistischen Staates.

Welch widerwärtige Gestalt ein solcher sich als progressiv gebärdender Blödsinn annimmt, der jeglichen theologischen Wahrheitsanspruch längst schon aufgegeben hat und vorgebliche Wahrheit nur durch beharrliches und zermürbendes Wiederholen seiner selbst ertrotzt und welch affirmative Praxis solche Hände-Gottes-Theologie folgt, das wurde zum Abschluß des Gottesdienstes sinnlich-eindringlich demonstriert: Es wurde nicht nur der liebe Gott erneut mit Liedgeplärr geplagt, welches zudem unverfroren imperativisch daherkam („Komm, Herr, segne“, und zwar „uns„), sondern Hunderte von Händen, die inzwischen zu göttlichen geraten waren, ergriffen Hunderte von Geldbörsen. Und während das Geld im Kasten klingt, die Heilsgeschichte ihren Fortgang nimmt.

Wurde die Idee eines Gottes auf diese Weise in das bestehende Unheil heruntergezogen und in harter Deutscher Mark aufgewogen, so konnte sich hernach die Sölle-Gemeinde frohgemut zu Füßen des KaDeWe und der Berliner Banken zum „Abend der Begegnung“ niederlassen. Die als personal geglaubte Beziehung der Christen zu ihrem Gott offenbarte sich so als phantasmagorische Form eines dinglichen, vermittelten Verhältnisses: Der Fetischcharakter der Warenwelt produziert seinen eigenen Überschlag in Gestalt der Religion, weshalb dem Wort von der PredigerIn als Kopiergerät eine weitere Sinnfälligkeit zukommt. Vervielfältigt Sölle einerseits das bereits zu oft Gehörte, so spiegelt sich andererseits in dem, was sie sagt, nur das wider, was sowieso ist. Das hieße zugleich, das Vorfindliche sei alles. Läge nun „unsere Zeit“ tatsächlich „in Gottes Händen“, wie die Kirchentagslosung beteuert, so liegen eben diese Hände dieses Gottes an unserer Kehle und meucheln genüßlich: Christen projektieren mitunter verblüffende Götter.

Henning Daubert