IMMER WIEDER VOLL DA

■ Harald Juhnke wird heute 60 Jahre alt

Ich weiß gar nicht

warum wir hier alle

feierlich sitzen und

nicht irgendwo ein

Glas Schnaps trinken. (Juhnke im 'tip‘)

Harald, du bist so

richtig ein Schauspie

ler wie früher, du

bringst die Leute zum

Lachen, und nachher wei

nen sie auch mit dir. (Minetti)

Harald Juhnke wird 60, und da wird heut‘ abend mit mehr als hundert geladenen Gästen gefeiert. Die Tischordnung hat Frau Susanne gemacht. Wölfer, Pfitzmann, Genscher, Porsche, HSV, Diepgen, Hassemer, „Howie“ Carpendale, „Freddy“ Quinn, „Bubi“ Scholz - wer nennt die Namen, kennt die Gesichter alle werden da sein, „und ich hätte nie gedacht, daß mich so was so traurig macht“ (Carpendale). Daß ich nicht dabei sein kann.

Kein Superstar, aber doch Deutschlands größter Entertainer, oder „unser größter Entertainer von Weltformat“ (Programm zu seiner Personality-Show Um acht kommt Harald), geborener Harry - „ich hieß damals noch Harry, erst dem Harald schmeckten dann andere Sachen um so mehr“. Er schlug sich so durch - Berliner Schnauze -, war Schieber nach dem Krieg und kam eher zufällig '47 zum Theater, kam durch Erik Ode zum Boulevard und spielte den Neffen in Pension Schöller Harald Juhnke ist der ewige Neffe und war kongenialer Marlon -Brando-Synchronsprecher in Die Faust im Nacken.

Dann kam der 25.2.59: „Herr Juhnke, zum Wohl!“ - „Danke, auf einem Bein kann man nicht - Prost.“ - „Meine Rede. Bierchen noch?“ - „Bierchen? Ja klar!“ Da hatte er was getrunken gehabt. „Ein Bier hab‘ ick getrunken, einen Schnaps, harmlos, janz harmlos...“, da war er „abgeschwappt“. Da gab's 'ne prima Verfolgungsjagd mit den Bullen. Als er gestellt wurde, rief er ihnen zu, sie würden ihre Quittung schon kriegen, wenn die Russen erstmal in West -Berlin wären. Und prügelt sich: sieben Monate. Obgleich „Bubi“ Scholz seine Hand für ihn ins Feuer gelegt hatte: „Wir könnten doch nie jemanden hauen...“

Filme: Ein Mann will nach oben, Drei Mädchen spinnen usw. usf. Serien: mit „Baxi“ in Ich liebe Dich, mit Grit Boettcher in Ein verrücktes Paar, mit Eddi Arent in Harald und Eddi usw. - „schwachsinnige Sachen“, wie er selbst sagt, aber mit aller Leidenschaft infernalisch und mit dem irren Blick gespielt, der den wahren Künstler auszeichnet. Seine Frau Susanne, sein Bub „geben ihm die Kraft, um trotz aller Tiefschläge wieder aufzustehen“ ('rtv‘ - „Ihr Fernsehmagazin für diese Woche“). Gefeiert wurde er auch in „ernsten“ Rollen: in Pavel Kohouts August, August, 80 ausverkaufte Vorstellungen lang in Osbornes Entertainer und Moliere hatte ihm anscheinend den Tartuffe auf den Leib geschrieben. In Zadeks Ab jetzt gibt es geniale Juhnke-Videos, die das völlig verkorkste Stück strukturieren und noch irgendwie retten: Juhnke ruft da als komischer alter Herr aus einer Kneipe, die gerade zusammengeschlagen wird, an, er verkündet und hat seinen letzten Auftritt als Drummer (und verbindet sich so mit Wolfgang Neuss) und schließlich liegt er im Krankenhaus

-„Mir ist da etwas ganz Unglaubliches passiert...“

Demnächst beginnen die Dreharbeiten zur TV-Detektivserie Harry. „Harry wird aber kein zweiter Schimanski, eher eine Art Columbo“ ('rtv‘). „Det wird janz jroßartig“, grinst Harald, und mit Harry kehrt er zu seinem ursprünglichen Namen zurück. Der Kreis schließt sich, er singt jetzt schon etwas verdreht „Es wird ein gutes Jahr, als ich 60 war“.

Harald Juhnke ist nicht wie Weizsäcker. Harald Juhnke ist der hermezeutische Zirkeldurchbrecher. Und vor allem ist er Mensch. Deshalb heißt er auch Harald. Und seine Autobiographie, die der im Umgang eher zurückhaltende Star mit Widmung an neue SchauspielerkollegInnen verschenkt, heißt Die Kunst ein Mensch zu sein.

Was ist bestimmend im Leben dieses Mannes? Was für ein Phänotyp ist Harald Juhnke? Die ewige Zigarre gehört selbst an frühen Pressekonferenzmorgen zu Harald Juhnke, früher wurde sie durch ein Glas Whisky ergänzt. Theodor W. Adorno hebt in seiner Minima Moralia gerade diese beiden Accessoires des „tough guy“ hervor. Das Ideal menschlicher Beziehungen ist ihm der Klub (Willkommen im Club heißen Haralds Fernsehshows), die Stätte eines auf rücksichtsvoller Rücksichtslosigkeit gegründeten Respekts, anders als beim Wein, läßt jedem Glas Whisky, jedem Zug an der Zigarre der Widerwille noch sich nachfühlen, den es den Organismus gekostet hat, auf so kräftige Reize anzusprechen, und das allein wird als die Lust registriert. Die He-Männer wären also... Masochisten. Ohne Zweifel war Juhnke ein solcher „He -Mann“. „Ich warte nicht, bis man mich haut“, singt Juhnke auf seiner LP. Lieber tut er sich selber weh. Seine schlimmsten Jahre waren kein Pappenstiel: Gefängnis, Scheidung, familiäre Belastungen, „König Alkohol“ mit seiner „weißen Logik“ (Jack London), und 1984 ein Aufenthalt in der Baseler Psychiatrie. „Juhnke, det is schon 'ne Marke“, grinst der Taxifahrer.

Das Theater selbst beruht auf einem masochistischen Prinzip, folgt man den Ausführungen des Psychoanalytikers Theodor Reik, und Juhnke verfielfältigt es; in seinem Leben, auf der Bühne. „Nie die gold'ne Mitte, immer volles Risiko, barfuß oder Lackschuh, alles oder nichts, leg ich mir 'n Frack zu oder komme ich vor Gericht“. Der „merkwürdige ältere Herr“, der große Junge, der doch immer nur geliebt sein möchte, der Clown, „ein alter Sack“, wie er sich nennt, inszeniert die Strafen, die in seiner Logik den Erfolg bedingen. Und verspottet so die Strafinstanz: Um sich einen Frack zu kaufen, muß er vors Gericht, das ist der eigentliche Sinn seines Liedes. Damit die Vorstellung gelingt, muß er erstmal entsetzliches Lampenfieber haben auf der Pressekonferenz zu seiner im übrigen großartigen Show, die heut‘ abend im TV läuft (Um acht kommt Harald) konnte er kaum seine nackte Angst verbergen. „Ich habe mir nie den Weichmacher Existenzangst ins Mundspülwasser schütten lassen“, schreibt er, und das heißt nur, daß er ihn sich dosiert immer selber reinschüttet, damit auch alles klappt. Und es klappt. Nur nach einer bestimmten Zeit, am Ende des Engagements, überfällt ihn plötzlich wieder Melancholie, die Angst, die nötig ist, damit es weiter und besser werden kann. Früher in seiner Musik-ist-Trumpf-Zeit trank er dann tagelang und verkündete vor versammelter Journaillie wider besseren Wissen seinen Abschied aus dem Showgeschäft.

Auch seine letzte Tournee nahm ein unvorhergesehenes Ende. In Salzburg schmiß er die Show. „Die Bühne blieb leer, Juhnke wieder voll“, titelten die Boulevardblätter. Konzertveranstalter Schwenkow verklagte ihn auf 600.000 Mark Schadenersatz, und Juhnke wird bis zum Bundesgerichtshof gehen, um das abzuwenden. Er hat ein Attest. „Ich habe an dem Abend mit drei Leuten zusammengesessen, zu viert hatten wir etwa sechs Gläser Wein und eine Flasche Schampus“, zählt der Schauspieler auf, „und morgens war ich nicht betrunken, sondern hatte Schmerzen und wollte zum Arzt“ ('rtv‘). Zuvor hatte er zehn Shows mit einem kaum verheilten Leistenbruch gespielt. Und kurz darauf, also jetzt, ist er wieder voll da.

Der selbst zugefügte Schmerz ist die Bedingung des Erfolges. Diese subversive Umkehrung läßt sich ohne Schwierigkeiten in Juhnkes Auftritten nachweisen: Wenn er am Anfang seiner Show so tut, als sei er betrunken, wenn er Mitspieler hat, die sich über ihn lustig machen: Ah, 'ne Platte ham Sie rausgebracht. „Da kann man sie ja endlich ins Regal stellen...“, har, har, har - „Beim Lachen über sich selbst findet eine Entfaltung statt, deren Grundlage eigentlich der Zusammenbruch ist“ (Bataille). In seiner Alterssouveränität allerdings unterwandert er noch den Masochismus, distanziert läßt er Lebens- und Komikmuster an sich und uns vorbeiziehen, als Conferencier zitiert er nur noch Johny Rotten, sein Leben und Frank Sinatra: „I did it my way.“ Do it again, Harald, do it again. Turn around and go back!

Detlef Kuhlbrodt