GRÜNSCHLEIER

■ Das umweltverantwortliche Etikett vieler kommerzieller Anbieter

So kommt „Natur entdecken und erleben“ echt gut - im „Tiefflug über das Okavango Delta“ donnern, mit Hubschraubern über den Iguacu-Fällen kreisen oder mit Spezialfahrzeugen und Booten in den letzten noch unberührten Naturparadiesen herumstöbern. Ob Berggorillas oder „Tellerlippenfrauen“ - weder Tier noch Mensch ist vor der jährlich anwachsenden Zahl ausschwärmender Humboldts sicher.

Was ihnen die zerstörte Alltagswelt nicht mehr zu bieten hat, suchen sie in den entlegensten Winkeln der Erde. Ihr Verlangen nach authentischen Naturerlebnissen versuchen Spezialreiseveranstaltungen, die zur Zeit sehr eng mit Naturschutzverbänden zusammenarbeiten, gewinnbringend zu nutzen. Aber nicht nur Einfluß auf den Geldbeutel, sondern auch auf das Bewußtsein wollen sie nehmen - die Touristen nicht nur befriedigen, sondern aufrütteln, ihnen sowohl Bedeutung als auch Gefährdung von Natur nahebringen. „Nur wer die Natur erleben durfte und ihre erstaunliche Vielfalt schätzen kann, wird bereit sein, sich für ihren Erhalt einzusetzen“, so ihr gängiges Motto.

Für den Erhalt der heimgesuchten, überwiegend außerhalb Europas liegenden Nationalparks und Naturreservate seien die angebotenen Expeditionen und Studienreisen zudem überhaupt erst Voraussetzung zur Finanzierung. Ferntourismus als Beitrag zum Naturschutz. Grünes Deckmäntelchen

Die Grenzen zum übrigen „bösen“ (Massen-)Tourismus sind somit, zumindest verbal, klar abgesteckt. Möglicher Kritik an der Umwelt- und Sozialverträglichkeit der eigenen Reisen soll auf diese Weise die Spitze genommen werden. Und das aus gutem Grund. Denn zwischen den Ansprüchen und dem praktizierten Reisegeschäft klaffen zum Teil riesige Lücken.

Am deutlichsten treten diese Widersprüche beim Deutschen Bund für Vogelschutz (DBV) und seinem Reiseveranstalter DBV Tours zu Tage. Auf der einen Seite Mitaufbau des spanischen Nationalparks „Coto Donana“, auf der anderen Seite beteiligt sich DBV Tours durch Reisen nach Matalascanas (reine Touristenstadt am Rande des Parks) an starken Schädigungen des Wasserhaushalts im Park. Gerd Hesse (DBV Tours) sagt klar, wo es langgeht: „Zivilisierte Europäer brauchen nun mal einiges an Wasser.“

Aber außer Unmengen von Wasser, Energie und sonstiger Infrastruktur braucht der „zivilisierte“ Europäer Belege, mit denen er die Daheimgebliebenen beeindrucken kann. Fotos und Filme reichen vielen „Naturliebhabern“ nicht aus. Dies hat Natur Studien Reisen GmbH (enge Zusammenarbeit mit DBV Tours) erkannt. Als Jagdvermittlung Oskar Nagel werden daher unter gleicher Adresse (gleiches Telex) Trophäenjagdreisen an den Mann (!) gebracht (zum Beispiel Nashorn, Preis auf Anfrage). Nationalparks werden so zu Trophäenreservoiren für devisenbringende Foto- und Großwildjäger gleichermaßen.

Aus dem werbewirksamen Gerede von Umwelt- und Naturschutz stricken sich die Veranstalter (unterstützt bzw. geduldet von Naturschutzverbänden) ein grünes Deckmäntelchen, unter dem sich Bedürfnisse nach Abenteuer und Exotik ohne schlechtes Gewissen vortrefflich befriedigen lassen. Es liefert das Alibi für Luft- und Gewässerverschmutzung, Abholzungen, Gefährdung und Ausrottung von Tier- und Pflanzenarten, Bedrohung vieler noch traditionell lebender Kulturen...

Der Unterschied zur Praxis der „normalen“ Reiseveranstalter löst sich in Wohlgefallen auf. Hier wie da, das gleiche Erschließungs- und Zerstörungsprinzip: Schnell hin, bevor die anderen kommen, denn die kommen sowieso nach.

Auch der „Umwelt-Multi“ World Wildlife Fund (WWF) hat mehr als einen Finger im Tourismusgeschäft. Er stellt einzelnen Reiseveranstaltern für bestimmte Reisen das werbewirksame WWF-Logo zur Verfügung und kassiert dafür fünf Prozent des Reisepreises. Dabei ist weder beim damit werbenden österreichischen (Intropa) noch beim schweizerischen Veranstalter (Arcatour) klar, was den Unterschied zu normalen Abenteuer- und Studienreisen eigentlich ausmacht.

Der bundesdeutsche „WWF-Veranstalter“ DUMA Reisen will in dieser Angelegenheit nun „Pionierarbeit“ leisten. In einer gemeinsamen Projektgruppe will DUMA Reisen zusammen mit dem WWF Deutschland bis 1990 einen Kriterienkatalog für einen „umweltfreundlichen sanften Tourismus“ erarbeiten. Ziel ist die Etablierung einer Art Markenzeichen. Umweltbewußtsein ohne Konsequenzen

Doch konsequent umweltverträgliche Konzeption von Reisen reicht allein noch nicht aus, wie das Beispiel Dr.-Koch -Fachexkursionen zeigt. Für die schwerpunktmäßig in die Türkei führenden Reisen wird die An/Abreise mit der Bahn propagiert. In seinen „Club Natura„-Anlagen werden lokale Baustoffe verwendet, wird auf Pestizide verzichtet, äußerst sparsam mit Wasser und Energie umgegangen, sind bestimmte umweltschädigende Sportarten verboten... Das Herz jeder/s Umweltbewußten müßte höher schlagen. Aber weit gefehlt - die Umwelt- und Naturliebhaber fliegen lieber und bestehen auch in wasserarmen Gegenden auf zwei- bis dreimal Duschen täglich. Intakte Natur: ja - aber keinen Verzicht auf den gewohnten „Zivilisationsstandard“.

Über verbale Äußerungen geht das immer wieder herbeigeredete Umweltbewußtsein der TouristInnen in vielen Fällen nicht hinaus. Die notwendigen Konsequenzen werden weder im Alltag und noch viel weniger im Urlaub gezogen. Eines der Hauptmotive für dieses „Fehlverhalten der Touristen“ benennt der Österreichische Reisebüroverband (ÖRV) in seiner Studie „Umweltschutz am Urlaubsort“: Die Delegation der Verantwortung. „Ich als einzelne(r) kann da ja eh nichts machen.“ Ein Motto, das auch von den Reiseveranstaltern immer dann hervorgekramt wird, wenn es um ihre Verantwortung für die Natur geht. Die Verantwortung für die negativen Auswirkungen des Tourismus (auch des eigenen!) wird schnell an Politiker, Behörden und Verbände delegiert.

„Unterstützung“ für diese Position finden die Veranstalter deshalb bei der Mehrzahl der TouristInnen. Eine „Zuständigkeit für reine Umwelt am Urlaubsort“ wird den Reiseveranstaltern und Reisebüros nur von 14 Prozent der Befragten zugewiesen, den Politikern und Behörden dagegen von über 60 Prozent (ÖRV-Umfrage).

Von einer „Erziehung zu mehr Umweltbewußtsein“ kann bei den Kommerziellen kaum die Rede sein. Sie haben über ihre „normale“ profitorientierte Geschäftspraxis lediglich einen „Grünschleier“ gelegt und leisten damit einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zur Aufrechterhaltung der naturzerstörerischen Mechanismen, die sie vorgeben zu „bekämpfen“. Aber die Initiativen von DUMA Reisen und Dr. -Koch-Fachexkursionen lassen zumindest hoffen, daß auch unter den Veranstaltern noch mehr in Bewegung geraten könnte.

Yörn Kreib