Säuberung rollt

Chinas KP hat auf lange Zeit verspielt  ■ K O M M E N T A R E

Chinas Diktator Deng Xiaoping ist wieder öffentlich aufgetreten. Der Mann, der sogar eine Million Tote für die Friedhofsruhe auf dem Platz des Himmlischen Friedens eingeplant haben soll, lebt. „Leider“, werden die Überlebenden und Hinterbliebenen des Massakers vom Tiananmen sagen. Mit ihm tauchen nur noch die Hardliner aus der Versenkung auf, die das Blutbad vom Wochenende empfohlen haben. Damit ist der Machtkampf in der kommunistischen Partei Chinas entschieden. Die Errungenschaften von zehn Jahren Reformpolitik sind fast auf Null reduziert. Die Reformer in der Partei, die dem Volk eine Partizipation an den undurchsichtigen politischen Operationen der chinesischen Politik sichern und sie damit berechenbarer machen wollten, sind von der Bildfläche verschwunden.

Schon bald wird eine Repressions- und Säuberungswelle durch das Reich der Mitte fegen, die viele wieder an die düstersten Tage zu Maos Zeiten erinnern werden. Auch Schauprozesse gegen den entmachteten KP-Generalsekretär und die Mitglieder der Führungsschicht, die sich der harten Linie nicht beugen wollen, werden nicht lange auf sich warten lassen. Die KP hat durch die unbeschreibliche Brutalität ihres Vorgehens endgültig unmöglich gemacht, was der frühere KP-Chef Hu Yaobang bereits vergeblich versucht hatte: das Verhältnis zwischen den chinesischen Intellektuellen und der Bauernpartei KPCh auf eine Basis zu stellen, die dem ganzen chinesischen Volk von Nutzen wäre. Daran ist auf sehr lange Zeit nicht mehr zu denken. Die geistigen Vorbilder der Intellektuellen, wie Chinas Sacharow, Fang Lizhi, der geschaßte Präsident der Instituts für Marxismus-Leninismus an der Akademie der Sozialwissenschaften, Su Shao-zhi und viele Schriftsteller werden mit dieser KP nie mehr ihren Frieden schließen, wenn sie diese Woche überhaupt überlebt haben.

Die greisen Führer, die sich noch einmal gegen große Teile der gewählten Parteiführung an die Macht geputscht haben, verspielten damit Zeit, die sie eigentlich gar nicht mehr haben. Die Ursachen für die Proteste der letzten Wochen waren ja nicht nur der Zorn der Bevölkerung über die maßlose Bereicherungssucht der Führungskader und der Wunsch nach grundlegenden Menschenrechten. Es waren soziale Spannungen, verursacht durch die erfolgreichen Versuche der Konservativen, der bitter notwendigen und schnellen Wirtschaftsreform einen Riegel vorzuschieben. Das einzige, was die jetzt wieder regierenden Halbtoten in den letzten Jahren dem entgegenzusetzen hatten, war ein Gemisch aus Planwirtschaft und Einschüchterungskampagnen, die auf sozialistischer Moral beharrten. Was sie jedoch dabei wirklich interessierte, waren ihre Machtkämpfe, die sie wie die einstigen Eunuchen am Kaiserhof nun in den Pavillons des Regierungssitzes Zhongnanhai spinnen. Daß es den Putschisten um die Zukunft Chinas geht, um die Abwehr von Chaos, ist eine rhetorische Phrase aus den 50er Jahren. Die 7.000 Toten auf dem Platz des Himmlischen Friedens, in Wuhan und Schanghai sind die Opfer eines Nachfolgekrieges in der Führung der KP um das Erbe Dengs. Der einzige Nutznießer ist das chinesische Militär. Es regiert auf absehbare Zeit das Land. Mit welchen Mitteln, hat es der Weltöffentlichkeit dieser Tage zur Genüge gezeigt. Ob die ausländischen Partner dieser Machthaber das akzeptieren wollen, liegt einzig in ihren Händen. Wer die chinesische KP unterstützt, verlängert nur ihr Siechtum und damit die Agonie des Landes.

Jürgen Kremb