Laßt Hamdullah Erbil frei!

■ Die türkische Öffentlichkeit kämpft für die Freilassung eines totkranken Häftlings

Berlin (taz) -Das Gefängnis in Gaziantep im Südosten der Türkei gehört zu den sogenannten „Sondergefängnissen“, das heißt besonders gesicherten Knästen, die das Militärregime für politische Gefangene bauen ließ. Einer der Häftlinge in Gaziantep ist Hamdullah Erbil, 36 Jahre alt und zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilt. Mitte Mai wandten sich alle politischen Gefangenen aus Gaziantep mit einem dramatischen Appell an die Öffentlichkeit: Laßt Hamdullah Erbil frei, er ist schwer an Leukämie (Blutkrebs) erkrankt und wird unweigerlich sterben, wenn er nicht angemessen behandelt wird.

Nach einem längeren Krankheitsverlauf ohne ärztliche Behandlung hat Anfang April eine Kommission der Universitätsklinik Adana bei Hamdullah Erbil chronische Leukämie diagnostiziert und die Verlegung an einen Ort gefordert, wo „die herkömmliche Behandlung und/oder Knochenmarkstransplantationen durchgeführt werden können“. Daraufhin passierte zunächst gar nichts. Erst als der Fall öffentlich bekannt wurde, wurde Erbil am 26. Mai in eine Klinik nach Ankara verlegt, wo er, mit den Füßen ans Bett gekettet, vorübergehend behandelt wurde.

Hamdullah Erbil gehört zu den ältesten Opfern der politischen Justiz. Erstmals verhaftet wurde er bereits 1972, nach dem Putsch ein Jahr zuvor, weil er Flugblätter gegen die militärische Besetzung der Universität verteilt hatte. Nach der Generalamnestie 1974 dauerte seine Freiheit nur drei Jahre. 1977 wurde er erneut verhaftet und zunächst mit konstruierten Beweismitteln wegen der Beteiligung an einem Zugraub verurteilt. Nach dem Putsch 1980 wurde er erneut vor ein Militärgericht gestellt und diesmal mit einer Anklage konfrontiert, die bereits 1977 der reale Hintergrund seiner Inhaftierung war. Er sei „einer der Verantwortlichen des Massakers von Kahraman-Maras“. Erbil hatte in den drei Jahren seiner Freiheit in Kahraman-Maras gelebt, der Ort, wo die faschistischen Grauen Wölfe 1979 ein Pogrom gegen die Alevitsche Bevölkerung anzettelte. Die Massaker in Kahraman -Maras wurden nach dem Putsch der Linken in die Schuhe geschoben - eines der Opfer war Erbil, der zu diesem Zeitpunkt bereits zwei Jahre im Knast saß.

Aufgrund von Folterungen während seiner Haftzeit ist Erbil körperlich sehr geschwächt. Seine beiden Brüder, die als anerkannte politische Flüchtlinge in Europa leben, haben sich an die türkische Öffentlichkeit gewandt und darauf hingewiesen, daß für eine Knochenmarkstransplantation das Knochenmark männlicher Geschwister notwendig ist. Sie bieten ihrem Bruder jede Hilfe an, dürfen jedoch nicht in die Türkei einreisen.

JG