Gorbatschows Geist weht schon allüberall

Vorbereitungen zum Besuch des sowjetischen Staats- und Parteichefs laufen in Bonn auf vollen Touren / Sowjetische Vorausdelegation bereits eingetroffen  ■  Aus Bonn Ferdos Forudastan

Noch ist Gorbatschow nicht in Bonn - aber er ist schon überall präsent. Donnerstag morgen: Vier hochrangige Mitglieder der sowjetischen Vorausdelegation stehen Hunderten von Journalisten Rede und Antwort zum bevorstehenden Besuch des Staats-und Parteichefs.

Donnerstag nachmittag: Regierungssprecher Klein stellt das Besuchsprogramm vor. Wenig später: Der Ullstein Verlag präsentiert „Glasnost“, eine Sammlung von Reden Gorbatschows.

Freitag vormittag: Fast zwei Stunden lang geben Gennadi Gerassimow, Sprecher des sowjetischen Außenministeriums, und andere prominente Delegationsmitglieder kund, was sie von der politischen Entwicklung in der Sowjetunion, Bushs Abrüstungsvorschlägen, den Einzelheiten des bevorstehenden Gorbatschow-Besuches halten. „Heben Sie sich ein paar Fragen auf, damit Michail Gorbatschow Sie noch überraschen kann“, empfiehlt der Volksdeputierte Georgi Arbatow. Ob der oberste Mann im Kreml Überraschungen mitbringt - Anhaltspunkte gibt es dafür nicht. Das Programm läßt das Gegenteil vermuten. Am Dienstag liegen im Kanzleramt eine deutsch-sowjetische Grundsatzerklärung und zahlreiche Abkommen zur Unterzeichnung bereit.

In der Erklärung geht es vor allem um die deutsch -sowjetischen Beziehungen. Festgelegt sind darin auch Prinzipien für das Zusammenleben der Staaten in Europa, zum Beispiel das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Während des Besuches werden außerdem eine Reihe weiterer Vereinbarungen festgeklopft: Die Einrichtung von Kulturinstituten etwa, ein Austausch von Wissenschaftlern und Jugendlichen, der Vertrag zur gemeinsamen Rauschgiftbekämpfung, der Austausch von Informationen über Kernenergie.

Über zwei Abkommen konnten sich Moskau und Bonn noch nicht einigen: Die Vereinbarungen über Binnen- und über Seeschiffahrt - sie hängen an der ungeklärten Berlin-Frage. Welche Flagge Westberliner Schiffe führen sollten, darüber konnten sich die Verhandlungspartner bisher nicht einigen. Denn die Sowjets wollen eine generelle Berlin-Formel nicht akzeptieren. Sie verweisen darauf, daß West-Berlin in die deutsch-sowjetische Zusammenarbeit auf der Grundlage des Vier-Mächte Abkommens einbezogen bleiben soll. Alles Weitere sei eine Frage des jeweiligen einzelnen Abkommens.

Ob Gorbatschow, wie es die Bundesregierung erwartet, in Bonn erstmals auf Bushs Abrüstungsinitiative antwortet, ist noch immer ungewiß. Gerassimow befand am Freitag, dies sei nicht notwendig, aber auch nicht ausgeschlossen. Immerhin wolle die Nato selbst ihren Vorschlag erst am siebten September auf den Verhandlungstisch legen. Man wisse jetzt noch nicht, welche endgültige Form er bekommen werde. Außerdem habe sich Bush viel Zeit für seinen Vorschlag gelassen.

Georgi Arbatow forderte mit Blick auf die früheren Wiener Truppenabbauverhandlungen ein neues Modell von Verhandlungen. Wenn der Westen dazu bereit sei, könnten bei den jetzigen Wiener Verhandlungen über konventionelle Streitkräfte Ergebnisse innerhalb von sechs bis zwölf Monaten erreicht werden.

Waren beim Bush-Besuch Außen- und Rüstungspolitik vorrangige Themen, so wird es kommende Woche wohl hauptsächlich um die innenpolitische Situation der Sowjetunion gehen.

Ein „Durchbruch zur Demokratie“, kommentierte Regierungssprecher Hans Klein, CSU, die Entwicklung in der Sowjetunion und führte dieses Lob langatmig aus, bevor er das Besuchsprogramm für nächste Woche vorstellte.

Die Moskauer Reformen seien „Ausdruck europäischer Besinnung“, befand Außenminister Genscher in einer Sondernummer der 'Moskau News‘ und versprach: „Wir ermutigen jede Reform, die zu mehr Demokratie, mehr Pluralismus und mehr Freiheit führt.“