Trüber Trost und Trimm-Dich im keimfreien Nirwana

■ Biblio-Drama rüstet auf: In den „Enklaven der Unmittelbarkeit“ regiert der blinde Reflex

Wenn ein im Stadium der leichenstarre befindlicher Koloß wie die Evanglische Kirche seine bleiernen Füße urplötzlich auf alle möglichen Wege richtet, sei es auf den des Friedens oder der Gerechtigkeit oder der Bewahrung der Schöpfung, wenn er zudem Phantasie oder gar Spiritualität am Wegesrand zu entdecken trachtet, dann hat das einen guten, also weder phantasistischen noch spirituellen Grund: eine Absatzflaute. Der aufgeblähte und schwerfällige kirchliche Konzern ist seines Monopolanspruchs auf dem Markt für Sinnstiftung aller Art verlustig gegangen. Er sieht sich einem Heer quirliger Religions- und Religionsersatz-Produzenten gegenüber, das einer apokalyptischen Heuschreckenplage gleich über die angestammte Kundschaft herfällt und ihr mit peppig aufgemachten Billiggütern den Kopf, und was schlimmer ist, den Glauben verdreht. Die Zwangsgesetze der Konkurrenz wälzen sich als erbarmungsloses Naturgesetz auch über diejenige Kirche hinweg, die die souveräne Freiheit ihres Gottes stets mit der blindwütigen Freiheit des Marktes in Einklang brachte und nun die Rache des Herrn darin erfährt, daß er sie an die Naturgewalt des Konkurrenzprinzips ausliefert. Der Geist Gottes schwebt noch über ihr, allerdings in Gestalt eines Pleitegeiers.

So treibt sich die Kirche geschäftig um und sucht nach dem, was dem seelenlosen bürokratischen Apparat lange Zeit abging, als da wären Kreativität, Spontaneität, Emotionalität, auch Humanität, Liberalität und nicht zuletzt besagte Spiritualität. Eine vorzüglich geschmäcklerische Variante dieses volkskirchlichen Fischzugs ist das Biblio -Drama, „ein Zusammenspiel von gestalterischen Medien, selbsterfahrungsorientierten Prozessen und spielpädagogischen Arbeitsformen auf der Grundlage biblischer Texte“. Daß auch die Bibliodramatiker, die in der Goethestraße ein eigenes „Zentrum“ besetzt hielten, auf Kundenfang aus sind, verhehlen sie nicht, schließlich geht es darum, „wie aus diesen Erfahrungen persönlicher Glaube werden kann, wie Gruppenerfahrungen zu Gemeindeerfahrungen werden können“ und wie also die verbreitete missionarische Unlust in eine lustige Verbreitung der Mission verwandelt werden kann. Der bibliodramatische Zauber läßt sich nur erleben, nicht erklären, nur erfühlen, nicht ergründen, nur erfahren, nicht erfassen, nur verspüren, keinesfalls verstehen.

Allerdings läßt er sich ins wirkliche Leben zerren, „im Bibliodrama wird das Wort, werden wir selbst lebendig“, die wir, vereint mit „dem Wort“, schon ins Totenreich hinabgefahren waren. Unerbittlich nähert sich solch Gesäusel dem fast faschistischen Geseier von der „Einheit von Leib und Seele und Geist“, dieweil es immer wieder dem ADAC -Jargon anheimfällt: „Durch diese Art von Körperarbeit... gewinnt man mehr Sicherheit... auch in unvorbereiteten Situationen.“

Ein nicht nur sprachlicher Eiertanz also, den die Kinder Gottes und Jünger John Travoltas aufführen, und so „tanzen wir allein und gemeinsam mit anderen in Tänzen, in denen die Tänzer zum Tanz werden“.

Da die Menschen in der „Einheit von Leib und Seele und Geist“ zu bloßen Werkzeugen einer blinden Produktivität erniedrigt wurden, „werden Wir uns mit unserer Körperstruktur vertraut machen“, wobei „jeder für sich lernt, was für seinen Organismus nützlich und richtig ist; er lernt sich organisieren, unnütze Anstrengungen erkennen und ausschalten“. Der Illusion, man könne der nun wahrlich unnützen Anstrengung, seine Arbeitskraft verkaufen zu müssen, entgehen, korrespondiert die metallene, vermutlich irgendeiner unbedarften Gebrauchsanweisung für Küchengerät entfleuchte Sprache.

In einer Zeit, da das kapitalistische Bewegungsgesetz weltweit sich durchsetzt und sämtliche Erscheinungen dieser dämlichsten aller Welten in seinen Strudel reißt, propagieren diese dämlichsten aller Heile-Welt-Prediger „Bewegung und Tanz“ als „phantasievoll, lebendig und“ - das nun ist allerdings wahr: - „produktiv“.

Die verkrampfte Kollektivität, die verbiesterte Gemeinschaftlichkeit mit ihrem erstarrten Wunsch nach geschwisterlichen Gesang-Getanz-Gebet bildet einen von Adorno gemeinten Hort angeblicher Unmittelbarkeit: „Man soll mitmachen“, oder, wie es im Schmuse-Imperialismus heißt: Du, bring dich doch mal ein...

Die Wonne und Seligkeit, mit der diese Illusionen gehegt werden, die Emphase, mit der jeder einzelne darauf beharrt, gemeinschaftlich verblöden zu wollen, aber eben gemeinschaftlich und wenn schon, dann richtig, wird dem Typ des Bibliodramatikers erleichtert „durch seine Kapitulation vorm Kollektiv, mit dem er sich identifiziert. Ihm wird erspart, seine Ohnmacht zu erkennen; die Wenigen werden sich zu Vielen“ (Adorno).

Das Warming-up, ein Wort, welches so wunderschön an Formel1 und verbranntes Gummi anlehnt, beinhaltet im Bibliodrama -Zentrum des Kirchentags beispielsweise folgende Übung aus der Klamottenkiste eines x-beliebigen Kindergottesdienstes: aus einem klopapier-ähnlichen Blatt eine menschenähnliche Figur zu reißen, und zwar mit eigener Hände Kunstfertigkeit, um das fabrizierte Gebilde auf eine ansehnlich lange weiße Pappbahn zu legen - „Legt eure Figuren in den Strom der Zeit“.

Solch erschütternder Realitätssinn erfaßt die Welt, der man glücklich entronnen, entweder als fadenscheiniger Dichtung oder als keimfreies Nirwana: Zum eingegebenen Stichwort „Licht“ schnurrt der bibliodramatische Hardliner sein schauriges Speicherprogramm ab und assoziiert füglich „Wärme“ oder „Geborgenheit“ oder anderes gründlich Desinfizierte, niemals aber Atomblitz oder gar nur Osram.

Die bibliodramatische Aktionsgemeinde also ist der Jet-Set unter den volkskirchlichen Missionsbrigaden, der voller Scheinheiligkeit und unter Verachtung aller trennenden Grenzen auf einem methodischen Hochleistungsgeschoß in die unendliche Weite seiner unerforschlichen Innerlichkeit rauscht. Einmal im Irgendwo angekommen, „wird es zum Ort neuer Erkenntnis auch für uns“, also auch für den, der ahnungslos ein Ticket löst, welches ihn bloß - zuzüglich der Kirchensteuer - die Preisgabe ans notorisch fröhliche Kollektiv und den Verstand kostet.

Henning Daubert