Usbekistan evakuiert Meßcheten

■ Mob ermordete über hundert Angehörige der türkischstämmigen Minderheit in der Sowjetrepublik

Moskau (afp/dpa/ap/taz) - Über die Lage in der zentralasiatischen Sowjetrepublik Usbekistan, wo im Lauf der vergangenen Woche über hundert Angehörige der türkischstämmigen Minderheit der Meßcheten ermordet wurden, lagen am Wochenende widersprüchliche Informationen vor. Das sowjetische Staatsfernsehen sprach von einer Beruhigung der Lage. Schatalin, der Befehlshaber der 12.000 Mann starken Sondereinheiten des Innenministeriums, die vor Ort im Einsatz sind, warnte hingegen in der 'Prawda‘ vor einem Übergreifen der Unruhen auf die Nachbarregionen Andischan und Namagan sowie auf die Region Leninabad in der Sowjetrepublik Tadschikistan. Fortsetzung auf Seite 2

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Praktisch die gesamte 15.000 Menschen zählende Minderheit der Meßcheten soll über eine Luftbrücke aus Usbekistan ausgesiedelt werden. Dies berichtete 'Iswestija‘ am Wochenende unter Berufung auf den Vorsitzenden der usbekischen Regierungskommission zur Untersuchung der Pogrome. Wohin die Meßcheten evakuiert werden sollen, berichtet die Zeitung nicht. Die Meßcheten selbst verlangen die Rückkehr in ihre ursprüngliche Heimat im Südwesten Georgiens, von wo sie 1944 im Auftrag Stalins deportiert wurden. Über 10.000 Meßcheten, darunter 2.500 Kinder, haben laut der Armeezeitung 'Kras

naja Swesda‘ (Roter Stern) bereits in einem bewachten Lager Zuflucht gesucht.

Am Samstag strahlte das Fernsehen Bilder aus der usbekischen Stadt Kokand aus. In dem Bericht wurde das Stadtzentrum von Kokand gezeigt, wo am Wochenende offenbar Soldaten der Sondereinheiten patroullierten. Das Zentrum war am Freitag von einem mit automatischen Gewehren und Pistolen bewaffneten Mob erstürmt worden, mindestens elf Meßcheten waren Donnerstag und Freitag ermordet und 86 Häuser in Brand gesteckt worden. 'Istwestija‘ berichtet, 5.000 bis 6.000 Personen seien ungehindert durch die Straßen der Stadt gezogen, hätten Häuser angezündet und Menschen verstümmelt.

Am Samstag morgen fuhren dem Fernsehbericht zufolge mehrere tausend Jugendliche durch die Straßen und schwenkten grüne Fahnen - das Symbol für den Islam. Sie forderten die „Ausweisung der Türken, die Erhöhung der Baumwollpreise, die öffentliche Verurteilung von Milizionären sowie die Schließung einer Chemiefabrik“, teilte der Fernsehkorrespondent mit.

Nach Angaben der 'Prawda‘ gehen die „Marodeure“ immer mit der

gleichen Taktik vor. Sie fallen mit Lastwagen in Dörfer ein und greifen zunächst die Polizeistationen an, um Waffen zu erbeuten und danach Regierungs- und Parteigebäude zu stürmen. Mindestens 87 Feuerwaffen seien inzwischen auf Aufforderung hin abgeliefert worden, weitere 3.000 hätten die Sicherheitskräften beschlagnahmt, heißt es in der Sowjetpresse. Insgesamt seien bei den Unruhen im Verlauf der Woche 650 Wohnhäuser und 23 „Regierungsobjekte“ in Flammen aufgegangen.

Bislang haben es die sowjetischen Behörden abgelehnt, reguläre Truppen in die Region zu entsenden, die unter Ausnahmezustand steht und für ausländische Journalisten gesperrt ist. Nach Angaben der 'Prawda‘ steckt hinter den Unruhen „eine korrupte, gut organisierte mafia-artige Gruppe“, der es um die Destabilisierung Usbekistans und letztlich der gesamten Sowjetunion geht. Andere Zeitungen vermuten als Drahtzieher Gegner des Reformkurses von Gorbatschow und sprachen auch von wirtschaftlichen Ursachen der Unruhen. Allgemein stimmen die Sowjetmedien darin überein, daß es sich bei den Unruhen nicht um einen ursächlich ethni

schen Konflikt handelt.

thos