AMIS BLUBBERN

■ R.E.M. im Metropol

R.E.M. sind Helden, zumindest in den USA - die Band für Studenten. Wenn es noch keine College-Radios gäbe, müßten sie für R.E.M. erfunden werden. Der kleine, aber gewichtige Unterschied zu einer Band wie zum Beispiel BAP ist, daß sie auch noch gute Musik machen. Vorausgesetzt, man mag nölenden Gesang, Klingel-Gitarren und freiimprovisierte Lyrics, die zu oft keinen oder einen sehr abgedrehten Sinn ergeben. Wenn man die Texte für Studenten vergißt, bleibt irrsinnig guter Gitarrenpop, das sollte genug sein.

Wenn nur dieses NewAge-Geblubber nicht wäre. Gedängel und Geklirre, ein Beckenzischel dort, eine kleine, dezente Rückkopplung hier. Will doch keiner mehr hören, jetzt, wo der Kirchentag endlich vorbei ist. Die alten Sachen kommen gut und schnell und kraftvoll: „Pretty persuasion“ oder „It's the end of the world as we know it/ and I feel fine“. Man könnte fast ans Ende der Welt glauben, so voll ist es hier, in der Hölle kann's auch nicht enger und heißer sein, vielleicht gibt es noch mehr Amis da, aber die hier reichen vollkommen, und es gibt absolut keinen Grund, sich fein zu fühlen, wenn man kurz vorher beinahe in eine Schlägerei mit einem GI verwickelt worden wäre. Irgendwann legt sich unser Sänger und Heiland selbst mit seinen Landsleuten an. Alle anwesenden Amerikanern bittet er, beim nächsten Stück doch am Boden stehen zu bleiben und das Maul zu halten. Der Song enthält die Zeile „Stand up and scream“, was unsere westlichen Verbündeten wohl öfter zu wörtlich nehmen, für seinen Geschmack. Es entwickelt sich ein kurzes Wortgefecht und ein kleineres Pfeifkonzert, die Heimatabendstimmung ist dahin, die Amis schmollen.

Der Sänger spielt zu sehr den „crazy artist“, mit extrem dunkel geschminkten Augen, zu einstudiert wirkender Choreographie und diesem irren Blick, von dem die Leute glauben, daß ihn all die Menschen haben, die noch wirklich Wichtiges zu sagen wissen. Den missionarischen Eifer bricht nur der Gitarrist, der schon mal mitleidig lächelnd seinen Sänger anblickt und ansonsten mehr den Rock'n'Roller rauskehrt, auch wenn er auf seiner Gitarre eigentlich nur ein sehr dünnes Byrds-Geklimper produziert. Aber im Laufe des Konzerts entwickelt sich eine hypnotische Wirkung, die die Leute durch diverse Drogen, die um mich herum geschmaucht werden, zu verstärken versuchen.

Zu oft ist es schon fast Stadionrock. Alles stimmt bis zum Ende, als es scheinbar aufbricht, sie bei den letzten drei Songs wie losgelassen wirken. Aber bei den Zugaben hat sie ihre eigene Perfektion wieder eingeholt. Allen wird noch mal gedankt, den Zuschauern, dem Gastmusiker, und auf den Stand von Greenpeace am Ausgang wird hingewiesen. Dann geht das Licht an, und die zuvor tobende Menge trollt sich ohne Zögern, und wenn man sich überlegt, was man erwartet hatte, war es genau das, was man erwartet hatte, aber irgendwie ist man doch enttäuscht.

Thomas Winkler