Amadeus darf nicht sterben

■ Ein Buch über den Schatten Mozarts

Er war ein „feines, niedlich gebautes Männchen, mit feurig blitzenden Augen“, so bezeugte es 1825 der Musikkritiker Friedrich Rochlitz, der ihn selbst noch gekannt hat. Den größten Erfolg seines Lebens feierte er zwei Jahre vor dem Bastillensturm in Paris, mit einer Oper nach Beaumarchais: Sie hebt an mit dem offenen Aufruhr der Elemente und endet mit dem Sturz des Tyrannen. Der Mann und seine Musik waren erstaunlich schnell vergessen. Pech für Antonio Salieri, daß vor ihm Gluck kam und nach ihm die Mozartlegende.

Und nun ein Buch mit, achdulieberpiper, was für Bücherclub -Allüren! Ein Klappentext-Getöse, daß man am liebsten den Band gleich wieder zurück ins Regal stellen will. Gedroht wird mit „Pflichtlektüre“, geprahlt: es handele sich um „die erste Salieri-Biographie seit 160 Jahren“. Und „die Welt“, aber mindestens, sehe in Salieri nur den „musikalischen Stümper“, erst Volkmar von Braunbehrens beweise: er „war zu Mozarts Lebzeiten mit seinen etwa 40 Opern der weitaus erfolgreichere von beiden“.

Nun weiß alle Welt spätestens seit Formans Film, daß es dem mordseifersüchtigen Salieri bei seinen Kabalen nicht um den Tageserfolg und die Opuszahl zu tun war, sondern um Mozarts genialischen Funken - im übrigen hat sie sich um den Musiker Salieri nie gekümmert. Ausgenommen natürlich eine Handvoll Musikwissenschaftler - und sieh an: Schon seit geraumer Zeit gibt es da eine solide Biographie in drei Bänden von Rudolph Angermüller (München, 1971 ff), bei der sich denn auch Pipers Pflichtlektüreschreiber ausgiebig bedient hat. Das ist ja nicht verboten - im Gegenteil: prima, wenn solcherart die Erträge fachwissenschaftlicher Form unters Volk gebracht werden. Nur schreiben sollte man, Pflicht hin oder her, schon können. Braunbehrens schreibt nicht, er doziert - so betulich-behäbig, so staubtrocken verschraubt und humorig wie ein komplettes Symposium emeritierter Professoren (allerdings hätten die wohl einen größeren Wortschatz und ein bißchen mehr grammatikalische Sorgfalt in Salieri investiert). Im übrigen ist diese Biographie tödlich gut gemeint: Brav, brav, unser Antonio. Fleißig und talentiert, gewiß. Ein rechter Langweiler, nur, damals war das „eben der Platzhirsch“ in Wien, nicht wahr, „beim besten Willen“ und überhaupt: „Manchmal helfen auch die größten Namen nichts.“

Man erfährt außerdem, wann Salieri wohin gereist ist, was er zu wem gesagt haben soll, was er sich vielleicht dabei gedacht hat, was sein Dienstherr davon hielt, wer wo für ihn gesungen hat - und Seite um Seite immer wieder: was Mozart gerade tat. Denn Braunbehrens hat ja einmal ein Mozartbuch geschrieben, das es jetzt auch als Taschenbuch gibt, wird seither als Experte und verlagspolitisch als Erfolgsautor gehandelt - und das verpflichtet. Amadeus darf nicht sterben, jedenfalls nicht vor dem Mozartjahr '91. Zu befürchten sind also weitere Folgen, etwa über Süssmayer, den Schüler Mozarts oder Konstanze, die Gattin Mozarts oder Nissen, den zweiten Gatten der Gattin Mozarts.

Und der „Musiker im Schatten Mozarts“? Ausführlich erörtert werden nur die zeitbedingt krausen Textbücher, die Salieri vertont hat. Zur Musik heißt es mit vollem Mund, sie sei von „großer Mannigfaltigkeit“, mitunter „spritzig“, „farbig“, „wirkungsvoll“ und pipapo. Kein Wort über die Ouvertüre zum Rauchfangkehrer, die ein Figaro-Thema antizipiert, über das Kabinettstückchen La stessa, la stessima aus dem Falstaff, über die Revolutionschöre in Auxur und Tarare. Und die spannenden Fragen nach dem drama giocosco, nach der bürgerlichen Buffa und der durchkomponierten romantischen Oper werden gar nicht erst gestellt.

Zurück ins Regal damit und her mit der einzig nennenswerten Platteneinspielung einer Salieri-Oper auf Hungaroton. Wer weiß, vielleicht gibt es demnächst auch die höllischen Danaiden oder den flammenden Tarare auf Platte. Salieris Musik teilt ja doch mit der Glucks das Schicksal, daß ihr vorrevolutionärer Gestus nach der Revolution nicht mehr hörbar war. Gerade jetzt, wo uns die karrenweise auf allen Kanälen verabreicht wird, könnte wohl auch Salieri noch einmal aus dem Schatten treten. Es ist, auch wenn der späte Falstaff manchmal danach klingt, gewiß nicht der Mozarts.

Elisabeth Eleonore Bauer

Volkmar Braunbehrens: Salieri. Ein Musiker im Schatten Mozarts. Piper-Verlag 1989, DM 39,80

Antonio Salieri, Falstaff. Mit Jozsef Gregor, Maria Zempleni, Eva Panczel, Denes Gulyas, Istvan Gati u.a., Leitung: Tamas Pal. 3 LP oder CD. Hungaroton 1985