Aids-Marathon „macht keinen Sinn mehr“

Uli Meurer, Vorstandsmitglied der Deutschen Aids-Hilfe, über die Welt-Aids-Konferenz in Montreal / Großer Ansturm auf Safer-Sex-Porno  ■ I N T E R V I E W

taz: In Montreal sollten erstmals die Betroffenen einbezogen und die sozialen Folgen der Krankheit stärker thematisiert werden. Ist dies gelungen?

Uli Meurer: Nur zum Teil. Auf der vorletzten Konferenz in Stockholm war die psychosoziale Thematik noch auf die Mittagspausen beschränkt. Diesmal war eine interdisziplinäre Vernetzung immerhin Bestandteil des Kongresses. Die Betroffenen haben aber selbst sehr viel politischen Druck gemacht und zum Beispiel gleich die Eröffnungsveranstaltung gesprengt. Die konservativ strukturierten Mediziner wollen ihre Kongresse von Betroffenen freihalten. Und der nächste Kongreß in San Francisco wird denn auch wieder stärker medizinisch orientiert sein.

Die Betroffenen-Gruppen hatten in Montreal ein eigenes Treffen organisiert.

Dahinter steht die Idee, ein weltweites Netzwerk von Betroffenen-Gruppen aufzubauen. Es geht darum, gerade in der Dritten Welt die Betroffenen-Seite zu aktivieren und bei Präventions- und Aufklärungskampagnen stärker zu beteiligen. Die westlichen Organisationen sollen Patenschaften für bestimmte Länder übernehmen und dort am Aufbau von Betroffenen-Gruppen mitwirken.

In welchen Ländern gibt es eigentlich Organisationen wie die Aids-Hilfe?

In vielen Ländern der Dritten Welt gibt es überhaupt keine Organisationen. Aber auch in Südeuropa, Portugal, Spanien und Italien existiert nichts Vergleichbares. Die Deutsche Aids-Hilfe ist sicherlich weltweit einzigartig in ihrer Struktur. Von daher gab es ein riesiges Interesse an unserem Stand, und wir haben versucht, etwas von unserem Know-how und unserer Arbeit weiterzugeben. Wir haben Präventionsmaterial vorgestellt, das in vielen anderen Ländern so nicht denkbar ist. Ein Beispiel war die Rohfassung eines Safer-Sex-Pornos für die schwule Szene, den wir gezeigt haben. Das gab ein riesiges Interesse und viele Anfragen nach diesem Video von Kuba, Südafrika bis Moskau.

Vom offiziellen Kongreß meldeten die Medien eher düstere Ausblicke.

Das ist richtig. Eine Kausaltherapie, die Aids heilen wird, steht auf lange Sicht nicht an, und auch in der Impfstoff -Forschung gibt es nur kleine Hoffnungsschimmer. Es zeigen sich aber verbesserte Therapiemöglichkeiten, was die einzelnen durch die Infektion ausgelösten Krankheiten angeht. Hier wird erneut Druck gemacht, zum Test zu gehen. Wenn eine medizinische Behandlung mit besseren Resultaten möglich ist, müsse man früher den HIV-Status abklären, wird argumentiert. Im Moment ist es noch schwer einzuschätzen, wie weit medizinische Fortschritte tatsächlich eine andere Test-Politik rechtfertigen. Man kann allerdings nur zum Test raten, wenn die Diskriminierung von Menschen mit HIV nicht mehr in dem Maße stattfindet.

Welche neuen Informationen gab es über die Situation in der Dritten Welt, dem Schwerpunkt des Kongresses?

Ein Hauptproblem ist sicherlich, daß sich die Betroffenen dort kaum selbst organisieren können. Aus diesen Ländern waren in der Regel auch nur Delegierte der Weltgesundheitsbehörde anwesend. Als zweites großes Problem fehlen in vielen Ländern nach wie vor finanzielle Mittel für wirksame Präventionskampagnen und für die Betreuung von Menschen mit HIV und Aids. Hier muß sehr viel mehr Geld beschafft werden. Es müssen aber auch andere Konzepte her. Der westliche Missionar, der in Kamerun die Monogamie predigt, muß natürlich scheitern. In diesem Land hat nun mal jeder Mann mindestens vier Frauen, und das ist auch gesellschaftlich und religiös verankert. Wir brauchen also stimmige, immanente Präventionskonzepte, die an die Situation der einzelnen Länder angepaßt sind.

Es waren mehr als 11.000 Teilnehmer in Montreal, mehr als 4.000 Präsentationen, über 1.000 Vorträge. Macht das in diesen Größenordnungen überhaupt noch Sinn?

In diesem Rahmen macht das sicherlich keinen Sinn mehr. Die Organisatoren waren total überfordert, der Kongreß war katastrophal schlecht organisiert, und viele der wissenschaftlichen Vorträge haben das Prädikat „wissenschaftlich“ sicher nicht erfüllt.

Interview: Manfred Kriener