DER MANN ALS FEHLER-QUELLE

■ Zehn Jahre „Original und Fälschung“

Die frühesten Erfahrungen sind prägend für das ganze Leben. Eine ganze Generation, die mit dem deutschen Kulturträger „Hör Zu“ aufgewachsen ist, schloß in der Rätselecke „Original und Fälschung“ die erste Bekanntschaft mit der Kunst. Als jemand, der genau hinsah, konnte man sich einmal wöchentlich beweisen und zehnmal seine Kringel um die entdeckten Fehler ziehen. Wieder war das Original gerettet und der Glaube in die Makellosigkeit und Einmaligkeit eines Kunstwerkes wiederhergestellt.

Doch dank des Fleißes und der Aufklärungsarbeit der Galeristin Anja Hess ist es nun gelungen aufzudecken, wie perfide das Bildungspatriarchat auch diese Serie infiltriert hat. Zehn Jahre hat die Galeristin „Originale“ (ohne Fälschung) ausgeschnitten, gesammelt, alphabetisch und nach Geschlecht des Kunstproduzenten sortiert. Ergebnis der Dokumentation: Rätselfreunde wurden jahrelang um die Existenz von Künstlerinnen betrogen. Nur elf Prozent gönnte „Hör Zu“ den Malerinnen. Die alphabetischen Listen lesen sich wie niederschmetternde Spielergebnisse: A 6 Maler: 1 Malerin, B 47:8, C 22:1, D 16:2, E 8:1, F 14:0, G 20:3, H 42:5 usw.

Trotzdem hat es, wie Statistiken aus der HdK beweisen, diese „Hör Zu“ lesende Nation fertiggebracht, mehr Studentinnen als Studenten an die Kunsthochschule zu schicken. Den Studentinnen aber fehlen nicht nur im Lehrbetrieb die weiblichen Identifikationsvorlagen, nämlich Professorinnen; sie müssen auch mit der entmutigenden Tatsache fertig werden, daß sie kaum eine Chance haben, jemals durch das Adelsprädikat der „Original und Fälschung„ -Serie in den ruhmreichen Olymp aufgenommen zu werden. Nicht einmal Käthe Kollwitz, Georgia O'Keefe oder Elvira Bach wurde diese Ehre zuteil.

Für eine feministische Rätselecke! Gleichberechtigung der Frau in der Fälschung!

Frau Hess ergänzt ihr Beweisstück männlicher Vorherrschaft zu jedem Buchstaben jeweils um eine Namensliste von Künstlerinnen, deren Zahl der der männlichen Künstler entspricht. Doch sind ihre Vorschläge nicht nur 100 Prozent weiblicher, sondern auch 100 Prozent avantgardistischer, denn sie bezieht sich zum größten Teil auf Künstlerinnen der Gegenwart, während die Tendenz der Serie mehr in die Vergangenheit weist. Dort hält man, sicher auch der leichteren Orientierung der Fehlersuchenden zuliebe, immer noch an die der Gegenständlichkeit verbundenen Kunst fest. So werden eher noch zehn ihren Garten malende Autodidaktinnen ihren Weg in die Serie finden und damit den Ruf der Frau als liebenswerte Dilettantin pflegen, bevor Künstlerinnen des Konstruktivismus, Informel, der Konzept oder der Aktionskunst dort eine Chance haben.

KBM

Die Ausstellung „Malerinnen in der Hör Zu unterrepräsentiert“ ist im Oberstufenzentrum Bürowirtschaft, Lippstädter Straße 9-11, 1-45, bis zum 18. Juli, mo-fr 8-17 Uhr zu sehen.