Gorbatschow bei den Stahlkochern

Interview mit Hans-Otto Wolf, Betriebsratsvorsitzender im Hoesch-Stahlwerk Phoenix, zum bevorstehenden Gorbatschow-Werksbesuch  ■  I N T E R V I E W

taz: Am 15.6. kommt Michail Gorbatschow zu den Stahlkochern nach Dortmund. Eingeladen habt ihr ihn anläßlich eines Moskaubesuches, der, auf dem Höhepunkt der Stahlkrise, ursprünglich der Auslotung von neuen Absatzchancen für die unterausgelastete deutsche Stahlindustrie diente.

Hans-Otto Wolf: Die Stahlkrise war zwar der unmittelbare Anlaß für unsere Initiative, aber es ging und geht nicht nur um neue deutsche Absatzchancen, sondern um Kooperation, die beiden Seiten nützt, die also auch im Sinne der Perestroika -Politik hilfreich ist.

Was waren die ersten Reaktionen in der Sowjetunion? Einen Mangel an Schwerindustriekapazitäten kennt man dort doch nicht?

Richtig, aber es fehlt an Know-how bei der Verarbeitung des Stahls zu guten leistungsfähigen Maschinen.

Haben sich aus euren Kontakten irgendwelche konkreten wirtschaftlichen Projekte ergeben?

Bisher noch nicht, aber wir sind im Ministerium für Maschinenbau auf sehr aufgeschlossene Gesprächspartner gestoßen, die die Chancen für eine internationale Zusammenarbeit auf Betriebsebene, die ja im Rahmen von Perestroika unbürokratischer möglich wird, deutlich sehen.

Normalerweise reisen Betriebsräte und Gewerkschafter ins Ausland, um mit ihren Kollegen die Interessensvertretung abzustimmen. Bei euch war das offenbar anders, denn ihr wolltet neue Geschäfte anbahnen ...

Wir sind schon in einer Art Doppelrolle dort hingefahren, aber ich glaube auch, daß es zu unseren Aufgaben als Interessensvertreter gehört, über den reinen Abwehrkampf hinaus nach neuen Perspektiven Ausschau zu halten.

Hat euer Vorstandsvorsitzender Rohwedder diese Initiative aufgenommen und weiter gesponnen?

Am Anfang wurden wir natürlich belächelt, aber nachdem dann die Liste unserer hochrangigen Gesprächspartner - u.a. haben wir mit dem Europaexperten Sagladin und hohen Gewerkschaftsfunktionären gesprochen - bekannt wurde, hat man unsere Initiative dann doch mit mehr Aufmerksamkeit registriert. Auch die IG Metall hat unsere Aktivitäten ja anfangs nicht gerade gefördert.

Wolltet ihr auch so etwas wie Diplomatie von unten vorführen, nachdem die Bonner Regierung auf die Politik von Gorbatschow ja vornehmlich kleinkariert und borniert reagierte?

Ja, aber die Diplomatie von unten haben wir nicht neu erfunden, sondern sie reicht bei Hoesch zurück bis in die 60er Jahre. Kollegen der Westfalenhütte haben schon damals Kontakte zu Stahlwerkskollegen in der Sowjetunion geknüpft. Auf dem Höhepunkt der Diskussion um die sogenannte Nachrüstung haben wir Generalsekretär Gorbatschow dann einen Brief geschrieben und um glaubhafte Unterstützung von Abrüstungsinitiativen gebeten. Zu unserer Überraschung erreichte uns sogar eine Antwort. Während des Arbeitskampfes um Rheinhausen kam dann die Idee auf, auch bei der Anknüpfung von wirtschaftlichen Kooperationen selbst aktiv zu werden - zum wechselseitigen Vorteil.

Stimmt es, daß die Bundesregierung wenig von dem Gorbatschow-Abstecher nach Dortmund wissen wollte? Ist der Besuch nur auf Drängen der sowjetischen Seite zustande gekommen?

Ja, nach meinen Infomationen ist es genau so gewesen. Uns wurde in Bonn bei einem Gespräch mit dem Kohl-Berater Teltschik Ende letzten Jahres gesagt, es sei kaum Zeit für Besuche an weit abliegenden Standorten.

Was erhofft ihr euch von dem Besuch jetzt konkret?

Zunächst einmal freuen wir uns, daß der Generalsekretär zu uns kommt. Möglicherweise wird es schon bald in Sachen Arbeitssicherheit zu einem Know-how-Austausch kommen. Vielleicht ist es auch möglich, einen betrieblichen Jugendaustausch und technische Kooperationen auf den Weg zu bringen. Dabei geht es uns auch darum, über intensive persönliche Kontakte - analog zur deutsch-französischen Entwicklung - bisherige Feinbilder abzubauen.

Die Stichwörter der neuen sowjetischen Wirtschaftspolitik klingen im kapitalistischen Westen wohlbekannt: mehr Wettbewerb, Leistungslohn, Effektivität, weniger Verschwendung und Bürokratie, Kampf dem Müßiggang im Betrieb. So mancher Manager im Westen hört sich ähnlich an. Wie klingt das aus sowjetischem Munde für einen linkssozialistischen Gewerkschafter und Betriebsrat, der im eigenen Land die Vergesellschaftung der Stahlindustrie fordert?

Verteilt werden kann auch in einer verstaatlichten oder vergesellschafteten Industrie nur das, was vorher produziert worden ist. Deshalb muß auch eine vergesellschaftete Industrie selbstverständlich rentabel arbeiten und mit Rohstoffen und Energien sparsam umgehen.

Offensichtlich funktioniert das in einer verstaatlichten Industrie nicht ...

... Weil es in der Vergangenheit im sowjetischen Wirtschaftssystem keinerlei Sanktionen für unrentable Betriebe gab. Man hat uns, nur als Beispiel, im Maschinenbauministerium erklärt, daß die Preise für eine verkaufte Maschine sich nicht in irgendeiner Weise am Gebrauchswert orientierten, sondern ausschließlich an der verkauften Tonne Stahl. Um einen hohen Preis zu erzielen, wurden dann eben die Maschinenständer völlig sinnlos entsprechend stabil gegossen.

Eure Initiative stützt sich auf die betrieblichen Funktionäre. Wie hat die Belegschaft auf eure sowjetischen Ausflüge reagiert?

Wir haben in sehr vielen Abteilungsversammlungen darüber diskutiert. Die Kollegen haben uns zunächst gefragt. Was soll das? Was bringt das für uns? Am Anfang hielten die meisten das wohl für eine etwas spinnerte Idee. Wir haben immer den Zusammenhang zwischen Abrüstung und wirtschaftlicher Entwicklung angesprochen, also die Hoffnung geäußert, daß in der Rüstung frei werdende Gelder zur Entwicklung genutzt werden können und das möglicherweise auch mit direkten Beschäftigungseffekten bei uns einhergehen kann. Inzwischen wird unsere Initiative von den Kollegen nicht mehr belächelt, denn der Besuch als solcher ist für uns eine enorme Auszeichnung. Im Endeffekt kommt es aber darauf an, was praktisch, für jeden erlebbar, danach folgt.

Ein bißchen von dem Glanz des Besuches fällt jetzt auf die Firma Hoesch. Hat sich Rohwedder schon bedankt?

Für uns ist das kein Firmenbesuch, sondern ein Besuch bei Betriebsräten der Eisen- und Stahlindustrie. Zu unserer Initiative gehören Kollegen aus der gesamten Branche. Wir haben uns auf Dortmund verständigt, weil hier seit langem die Verbindungen in die Sowjetunion bestehen.

Interview: Walter Jakobs