Usbekistan den Usbeken?

■ Erste Meßcheten wurden nach Westrußland evakuiert / Insgesamt sollen 17.000 Menschen ausgeflogen werden / Weiterhin Angriffe auf die Minderheit

Moskau (afp/ap/dpa/taz) - In der zentralasiatischen Sowjetrepublik Usbekistan hat eine Massenflucht begonnen. Die ersten von insgesamt mindestens 17.000 Angehörigen der türkischstämmigen Minderheit der Meßcheten haben das Land verlassen. Auch in der Nacht zum Dienstag kam es zu neuen Angriffen auf Meßcheten. Die amtliche Nachrichtenagentur 'Tass‘ meldete, die Ausschreitungen richteten sich nun aber nicht mehr nur gegen die Meßcheten, sondern auch gegen andere Nationalitäten. In Usbekistan leben auch Russen, Tadschiken, Aserbaidschaner und Sowjetdeutsche. 'Tass‘ zitierte Parolen von Demonstranten: „Usbekistan den Usbeken“, „Unrat loswerden“, „Türken würgen“, „Russen würgen“, „Es lebe die islamische Fahne“.

Zwar hat sich nach Angaben der Nachrichtenagentur 'Nowosti‘ die Lage in Fergana, wo die Unruhen vor über einer Woche ausbrachen, normalisiert. Doch kam es in Namangan, 50 Kilometer nördlich von Fergana, am Dienstag wie schon am Tag zuvor zu Ausschreitungen und Zerstörungen. Auch die Gewerkschaftszeitung 'Trud‘ und die 'Prawda‘ berichten, daß die Unruhen in der Region anhalten. Das Parteiorgan schreibt: „Trüppchen von Banditen, die sich nicht einmal mehr als Verfechter nationaler Interessen ausgeben, marodieren, plündern, brennen und morden weiter.“

Da die Unruheregion für Auslandsjournalisten weiterhin gesperrt ist, läßt sich ein ungefähres Bild über die Lage in Usbekistan nur über die Moskauer Medien gewinnen. Das sowjetische Fernsehen zeigte am Montag abend lange Schlangen von Meßcheten, die auf dem Flugplatz von Fergana auf ihre Evakuierung warteten. Es waren Fortsetzung auf Seite 6

I N H A L T

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auch Bilder von Hubschraubern mit Flüchtlingen an Bord zu sehen, die von rund tausend Usbeken, zum Teil mit Maschinenpistolen bewaffnet, angegriffen wurden. Es gebe nicht genügend Flugzeuge, um eine Luftbrücke einzurichten, hieß es in dem Bericht. Viele Flüchtlinge würden zunächst in die Nachbarrepubliken von Usbekistan ausgeflogen, von wo sie später in weiter westlich gelegene Landesteile weiterreisen sollten, meldete Radio Moskau. Ein Sprecher des Ministerrates der russischen Föderation erklärte der

Nachrichtenagentur 'afp‘, 17.000 von insgesamt etwa 70.000 Meßcheten in Usbekistan würden ausgesiedelt - nach Smolensk im Westen Rußlands, nach Orel, 300 Kilometer südlich von Moskau, und nach Belgorod, 500 Kilometer südlich von Moskau an der Grenze zur Ukraine. Ein Sprecher der KP in Smolensk bestätigte, daß die ersten 200 Meßcheten bereits eingetroffen seien. Doch würden sie sich weigern, sich in die ländlichen Gebiete bringen zu lassen, weil sie in Usbekistan Geschäftsleute gewesen seien.

Noch schweigen sich die sowjetischen Medien über die konkreten Ursachen und Hintergründe der Unruhen aus. Doch schreibt 'Tass‘, für

die „Ereignisse in Fergana und anderswo“ seien eine „gut durchdachte und organisierte Aktion“ und „solide Geldmittel“ nötig gewesen. Die Jugendzeitung 'Konsomolskaja Prawda‘ weist in diesem Zusammenhang auf die weit verbreitete Rauschgiftproduktion hin. In Usbekistan seien bereits 800.000 wilde Hanf- und 100.000 Mohnpflanzen vernichtet worden. Die usbekische Vereinigung 'Berlik‘ (Einigkeit) weist auf die angespannte wirtschaftliche Lage in ihrer Republik hin. Es gebe 1,5 Millionen zumeist jugendlicher Arbeitsloser, die Versorgung mit Lebensmitteln sei schlecht und die Landbevölkerung lebe an der Armutsgrenze.

thos