„Graue Panther“ auf dem Sprung in die Parteigründung

Trude Unruh sorgt für Unruhe bei den Grünen / Empfindliche Geldforderungen und ein Verlangen nach Quotenregelung für Alte in der Fraktion entzweien Grüne und Graue  ■  Aus Bonn Gerd Nowakowski

Nein, viel Glück haben die Grünen mit ihren parteilosen Mitgliedern nie gehabt. Der Ex-General Gerd Bastian wäre da zu nennen, und kürzlich sorgte Alfred Mechtersheimer mit seinen Libyen-Connections für Aufregung. Nun also Trude Unruh. Der Bundesvorstand hat Frau Unruh, die Vorsitzende des Seniorenschutzbundes „Graue Panther“ aufgefordert, ihr Mandat niederzulegen, nachdem sie die Gründung einer eigenen Partei angekündigt hatte. Am Dienstag abend wies die Bundestagsfraktion einen ähnlich formulierten Antrag des Fraktionsvorstands mit nur einer Stimme Mehrheit zurück. Freilich wurde der Ausschluß nur vertagt: Die Partei solle noch einmal verhandeln.

Der Konflikt, der in besonderer Weise die Bündniskonzeption der Grünen in Frage stellt, hat Geschichte. Als die Delegierten der Bundesversammlung der Grünen Anfang März in Duisburg ihre KandidatInnen für den Europawahlkampf kürten, schwelte er schon einige Monate. Zur offenen Flamme brauchte es den 12. Platz der Unruh-Mitarbeiterin Lisette Milde auf der Europa-Liste - unannehmbar weit entfernt von jenem sicheren sechsten Platz, den die „Grauen Panther“ verlangt hatten. Seitdem - Frau Milde verzichtete auf den ihr zugewiesenen Platz - war der Weg zur eigenen Partei vorgezeichnet.

Der Streit hat

historische Tiefe

Jede Seite beteuert indes ihr Interesse an einer weiteren Zusammenarbeit. Dazwischen aber stehen gegenseitige Vorwürfe, deren Ursachen sich teilweise im Dunkel der Geschichte der Grünen verlieren. „Wir sind nicht der Mohr, der seine Schuldigkeit getan hat“, sagt Trude Unruh, und Eberhard Walde, Bundesgeschäftsführer der Grünen, kontert: „Wir können uns nicht erpressen lassen.“ „Ultimative Forderungen und Drohgebärden“, so teilte das Vorstandsmitglied Ralf Fücks dazu in einem Brief mit, seien „einem partnerschaftlichen Klima nicht sehr förderlich“.

Der Streit geht über sichere Listenplätze, sei es bei der Europa- oder der kommenden Bundestagswahl, hinaus. Im Konflikt wird überdeutlich, wie schwach entwickelt die Kommunikationsstrukturen der Partei sind. So lehnte der fundamentalistisch dominierte Vorstand nahezu ein Jahr lang jedes Gespräch mit den Panthern ab. Deswegen haben sich gegenseitige Vorwürfe angehäuft, wurde beidseitig immer wieder verbal aufgerüstet, anstatt miteinander zu reden. Die „Grauen Panther“ fühlen sich von der Partei als billige Stimmenfänger mißbraucht, während ihre erfolgreiche Arbeit nie gewürdigt wurde. Manche ihrer Forderungen scheinen ein Reflex auf diese versagte Anerkennung zu sein. Und auch das vom Vorstand stetig widerholte Argument, man könne der Basis nicht vorschreiben, wen sie auf welchen Listenplatz wählt, ist richtig und macht gleichzeitig mißtrauisch. Daß es dabei vor allem auf die Bedeutung ankommt, die die Partei einem Politikfeld zumißt und dem Nachdruck, mit dem der Vorstand für gute Listenplätze eintritt, hat sich zu anderen Gelegenheiten oft genug erwiesen.

Die „Panther“ verlangen eine Quotenregelung, erläutert Lisette Milde und verweist auf den bei zwanzig Prozent liegenden Anteil der über Sechzigjährigen in der Gesamtbevölkerung. Für die Landtagswahlen in Nordrhein -Westfalen verlangen sie jeden sechsten Listenplatz; gleiches kann sich Frau Milde für die Bundestagswahl vorstellen. Schließlich hätte der Einsatz der „Grauen Panther“ in NRW dafür gesorgt, daß bei der letzten Bundestagswahl der Stimmenanteil der Grünen bei den Alten von 0,2 Prozent auf über sechs Prozent gestiegen sei. Und: Nicht die Grünen-Mitglieder sollen unter den Kandidaten wählen können, sondern nur Plätze freihalten, die von den Panthern selbst besetzt werden.

Mit den Alten

gegen Rechtstrend

Der Hinweis auf die Anzahl älterer Menschen in der grünen Bundestagsfraktion - um und über 60 Jahre alt sind unter den 43 Fraktionsmitgliedern derzeit neben Trude Unruh auch Willi Hoss, Charlotte Garbe, Wilhelm Knabe und Liselotte Wollny verfängt bei Frau Milde nicht: es sollen explizit „Graue Panther“ sein. Außerdem verlangt der Seniorenschutzbund einen sechsprozentigen Anteil der Wahlkampfkostenerstattung bei allen Europa-, Bundestags- und Landtagswahlen, um damit unter anderem ihr eigenes Wahlkampfmaterial zu bezahlen.

Die Partei müsse sich entscheiden, was ihr die Mitarbeit der „Grauen Panther“ wert sei, hatte Frau Unruh bereits im März erklärt. Für sie ist eine verstärkte Präsenz alter Menschen im Parlament notwendig, um dem Rechtstrend entgegenzuwirken. Gerade alte Menschen, die besonders unter den Auswirkungen der Renten- und Sozialpolitik zu leiden hätten, ließen sich allzu leicht von rechter Propaganda verführen.

Der Bundesvorstand der Grünen will auf solche Forderungen nicht eingehen. „Angemessen vertreten“ sein sollen ältere Menschen schon auf den Listen. Nur könne der Vorstand der Basis nicht vorschreiben, wen sie zu wählen hätten, argumentiert Ralf Fücks. Schlichtweg Plätze für die „Grauen Panther“ freizuhalten, wie dies verlangt werde, sei weder mit dem basisdemokratischen Überzeugungen der Grünen vereinbar noch mit den Bestimmungen des Wahlgesetzes. Letzteres gelte auch für die verlangte Wahlkampfkostenerstattung. Auch könne die Partei den aufmüpfigen Senioren kein „Alleinvertretungsrecht“ für altenpolitische Fragen zubilligen, schreibt Ralf Fücks - im Gegenteil: Sie hätten sich an die Beschlüsse der Partei zu halten.

Für Unmut sorgt auch das Verlangen von Trude Unruh, die Partei solle die Kosten der Wahlkampfbroschüren der „Grauen Panther“ für die letzte Bundestagswahl übernehmen. Frau Unruh möchte diese Gelder dann gegen einen 1984 von den Grünen gewährten Kredit in Höhe von 160.000 Mark verrechnen. Mit dem Geld erwarb der Seniorenschutzbund ein Haus in Wuppertal, eine Rückzahlung des Darlehens steht noch aus. Trude Unruh spendet außerdem nicht wie alle anderen Abgeordneten einen Teil ihrer Diäten an den Ökofonds der Partei, sondern dem Seniorenschutzbund zukommen läßt: Für die laufende Wahlperiode hat der Bundesschatzmeister der Partei, Axel Vogel, rund 300.000 Mark ausgerechnet.

Ein Trude Unruh- oder

ein Panther-Mandat?

Einigungsmöglichkeiten sind schwerlich zu sehen, auch wenn die Parteiführung ein neues Gesprächsangebot unterbreitet hat. Sie werde ihr Mandat in keinem Fall niederlegen, betont dagegen die Panther-Vorsitzende: „Das ist kein Trude-Unruh -Mandat, das ist ein Graue-Panther-Mandat.“ Bundesgeschäftsführer Walde widerspricht: Frau Unruh sei lediglich als Person über die nordrhein-westfälische Landesliste aufgestellt worden.

Die Senioren-Selbsthilfeorganisation stelle „harte Forderungen im Wissen um die Unmöglichkeit, diese zu erfüllen“, ist Eberhard Walde von einem „bewußten Bruch“ überzeugt. Diesen Eindruck teilen auch andere grüne Funktionäre. Alle Schlichtungsmöglichkeiten nutzen zu wollen, versichern viele. Entscheidend aber sei: Bündnisse mit Initiativen und Basisorganisationen: ja, mit einer konkurrierenden Partei: nein. „Das wäre ein nicht erträgliches Maß an Selbstaufgabe“, sagt der Fraktionsgeschäftsführer Michael Vesper. Widerspruch kommt vom Fraktionsmitarbeiter und realpolitischen Sprecher Udo Knapp: Er empfindet den drohenden Ausschluß als „völig unangemessen“. Diese Reaktion spiegele vielmehr die „Hilflosigkeit“ der Grünen mit der eigenen Bündnispolitik wider. Die einzige selbstverwaltete Altenorganisation dürfe nicht so „ignorant“ behandelt werden. Der Vorstand habe nicht nachdrücklich genug für einen besseren Listenplatz bei der Europawahl geworben, befindet Knapp und fragt, warum nicht auch mit einer künftigen Altenpartei eine vertragliche Zusammenarbeit möglich sein sollte. „Wir haben Angst vor den Alten“, umreißt Knapp eine Ursache für das ungelenke Umgehen mit den „Grauen Panthern“: „das ist die Elterngeneration, gegen die wir uns immer gewehrt haben und jetzt machen die genauso Politik wie wir - damit kommen wir nicht klar“.

„Unsere Unabhängigkeit

ist unantastbar“

Daß sie bewußt einen Bruch herbeiführen wollten, weisen Trude Unruh und Lisette Milde zurück. „Wir machen die Partei doch nicht, weil wir dazu Lust haben, sondern weil wir Inhalte rüberbringen wollen“, kritisiert Frau Milde eine ungenügende Unterstützung der Grünen für Panther-Positionen, unter anderem für eine Grundrente. „Die haben kein Interesse mehr, daß wir mitmachen“, dreht Trude Unruh den Vorwurf um. Die Seniorenorganisation könne nicht hinnehmen, daß ihre Unabhängigkeit durch die vom Parteivorstand verlangte Anerkennung der Beschlußlage der Grünen bedroht werde: „Unsere Unabhängigkeit ist unantastbar.“ „Wo ein Wille ist, ist ein Weg“, erklärt sie auch im Hinblick auf ihre Listenplatz- und Geldforderungen. Am Willen der Grünen aber zweifelt sie. „Wir haben alles vorbereitet“, sagt sie zur Parteigründung. Am 3. Juli soll es noch einmal ein Gespräch mit der Parteiführung geben. Kommt es nicht zur Einigung, dann soll die Jahreshauptversammlung der „Grauen Panther“ am 12.Juli in München grünes Licht für die neue Eigenständigkeit geben.